Die Vergessene Welt
sich wieder einigermaßen gefangen hatte, »derlei
Dinge passieren nicht im Leben. Man macht nicht zufällig eine
umwälzende Entdeckung und verliert dann nicht – zufällig –
das nötige Beweismaterial. Dieser Bursche hat die tollsten
Tricks auf Lager. Geschwätz ist das, weiter nichts.«
»Und der Amerikaner?«
»Hat nie existiert.«
»Ich habe aber sein Zeichenheft gesehen.«
»Challengers Zeichenheft hast du gesehen.«
»Glaubst du, daß er das Monster gezeichnet hat?«
»Klar. Wer denn sonst?«
»Meinetwegen. Und die Fotos?«
»Auf denen ist doch nichts drauf. Du hast selbst zugegeben,
daß du bloß einen Vogel gesehen hast.«
»Einen Pterodactylus.«
»Das behauptet er. Er hat dir diesen Pterodactylus in den
Kopf gesetzt.«
»Bitte schön. Und wie steht es dann mit dem Knochen?«
»Der erste stammt aus einem Irish Stew, der zweite ist
selbst gebastelt. Wenn du schlau bist und dich in deinem
Metier auskennst, dann kannst du Knochen genauso fälschen
wie Fotos.«
Mir wurde langsam unbehaglich. Sollte ich mich doch
haben bluffen lassen? Doch dann kam mir der rettende
Gedanke.
»Komm mit in die Vorlesung«, schlug ich Tarp Henry vor.
Er machte ein nachdenkliches Gesicht.
»Dein genialer Professor Challenger ist kein sonderlich
beliebter Mensch«, entgegnete er schließlich. »So mancher
würde gern ein Hühnchen mit ihm rupfen. Ich würde sagen, er
ist der meistgehaßte Mann in London. Wenn die Studenten
Rabatz machen – und man könnte es ihnen nicht verdenken –,
dann ist die Saalschlacht im Gange, und ich muß dir ehrlich
sagen, ich habe keine Lust, in ein Handgemenge um einen
Quatsch verwickelt zu werden, mit dem ich nichts zu tun
habe.«
»Trotzdem könntest du dir wenigstens anhören, was er zu
seiner Sache zu sagen hat.«
»Das ist richtig. Zumindest wäre es fair. Gut, ich komme
mit.«
§
Ich hatte es nicht geglaubt, aber der Hörsaal war tatsächlich
brechend voll. Vor dem Zoologischen Institut eine Droschke
nach der anderen. Weißbärtige Professoren stiegen gewichtig
aus und schoben sich durch die Massen, die zum Eingang
drängten. Die Zuhörerschaft, das stand draußen schon fest,
war ein Gemisch aus Neugierigen, Sensationslustigen, jungen
Leuten und Männern vom Fach. In den hinteren Reihen des
Hörsaals brodelte es. Alles Studenten, die im Moment noch
gut gelaunt und fröhlich waren, was sich jedoch schnell ändern
konnte. Immer wieder stimmte eine Gruppe einen Schlager an,
der im Moment Mode war, und andere stimmten in den
Singsang ein. Ich fand diesen Auftakt zu einem
wissenschaftlichen Vortrag eher merkwürdig.
Als der ehrwürdige alte Mr. Meldrum mit seinem
stadtbekannten, zerbeulten Zylinder auf dem Podium
auftauchte, fragte jemand lauthals, wo er denn den Deckel
herhabe. Der alte Herr nahm ihn hastig vom Kopf und
versteckte ihn unter seinem Stuhl, was natürlich eine Lachsalve
auslöste.
Als nächster humpelte der dicke Professor Wadley zu
seinem Platz. Sofort wurden leutselige Fragen nach dem
Befinden seines großen Zehs laut, der ihm allem Anschein nach
Kummer bereitete.
Beim Auftauchen meines neuen Freundes, Professor
Challenger, waren die Hörer nicht mehr zu halten. Als sein
schwarzer Bart im Türrahmen erschien, brach ein
unbeschreibliches Freudengeheul aus, und ich hatte schon
Angst, daß Tarp Henry recht behalten sollte, um so mehr, als
das Publikum, oder wenigstens ein Großteil davon, nicht
wegen der Vorlesung gekommen zu sein schien, sondern weil
es sich herumgesprochen haben mußte, daß der berühmte
Professor anwesend sein würde.
Unter den gutgekleideten Herrschaften der ersten Reihen
wurde pathetisches Gelächter laut. Das Gegröle der Studenten
schien ihm gerade recht zu sein. Wenn auch ein aggressiver
Unterton mitschwang, so war es doch hauptsächlich
Freudengeheul. Jemand, der gehaßt und verabscheut wurde,
wäre jedenfalls nie so empfangen worden.
Challenger, der langsam den Gang entlang geschritten war
und am äußersten Ende der Stuhlreihe auf dem Podium Platz
genommen hatte, lächelte nachsichtig, blähte den Brustkorb,
strich sich liebevoll über den Bart und betrachtete mit
hochmütigem Blick unter halb gesenkten Lidern hervor den
überfüllten Saal.
Der Lärm hatte sich noch nicht gelegt, als Professor Ronald
Murray, der Dekan der Fakultät, und Mr. Waldron, der
Vortragende, nach vorn kamen und die Veranstaltung
begann.
Professor Murray wird mir, hoffe ich, nicht gram sein,
Weitere Kostenlose Bücher