Die Vergessene Welt
dem die Tiere leben, und sie mit
eigenen Augen sehen. Wenn Sie jedoch meine Angaben
überprüfen, dann finde ich es nicht mehr als recht und billig,
wenn Sie von einer oder zwei Personen begleitet werden, die
wiederum in meinem Interesse Ihre Angaben überprüfen. Ich
will Ihnen nicht verhehlen, daß es eine schwierige und
gefährliche Angelegenheit werden wird. Professor Summerlee
sollte daher von jüngeren Männern begleitet werden. Möchte
sich jemand freiwillig melden?«
Und so kann es geschehen, daß ein Mensch plötzlich vor
dem entscheidenden Wendepunkt seines Lebens steht. Hatte
ich bei Betreten des Saals ahnen können, daß ich mich hier zu
einem Abenteuer verpflichten würde, das mir nicht einmal im
Traum eingefallen wäre? Aber Gladys – war das nicht die
Chance, die sie gemeint hatte? Gladys würde mir geraten
haben, mich zu melden. Und so stand ich auch schon und
redete, ohne mir die Worte vorher überlegt zu haben.
Tarp Henry, mein Begleiter, zupfte und zog pausenlos an
meinem Ärmel.
»Mensch, Malone«, zischte er. »Hast du den Verstand
verloren? Mach dich doch nicht in aller Öffentlichkeit zur
Tulpe.«
Ich hörte nicht auf ihn, stellte aber fest, daß ein paar Plätze
von mir entfernt ein großer, schlanker Mann mit flachsblonden
Haaren ebenfalls aufgestanden war und mich mit ablehnendem
und wütendem Blick musterte. Aber das war mir egal.
»Ich möchte mitkommen, verehrte Herren«, sagte ich
mindestens zehnmal.
»Name!« schrie jemand aus dem Publikum. »Namen
nennen!«
»Ich heiße Edward Dünn Malone und bin Reporter von der
Daily Gazette. Ich behaupte, ein absolut unvoreingenommener
Zeuge zu sein.«
»Und Sie, Sir?« fragte der Dekan der Fakultät den großen,
schlanken Mann, der offensichtlich mein Rivale war.
»Ich bin Lord John Roxton«, antwortete er. »Ich bin schon
den Amazonas hinaufgefahren, kenne das Gebiet und halte
mich daher für diese Expedition für besonders geeignet.«
»Lord John Roxtons Ruf als Sportler und Weltreisender ist
weltweit und unumstritten«, sagte der Dekan. »Auf der anderen
Seite wäre es zu begrüßen, wenn ein Mitglied der Presse an
der Forschungsreise teilnehmen würde.«
»Dann würde ich doch vorschlagen«, schaltete sich
Professor Challenger ein, »daß beide gewählt werden, als
Vertreter der hier Anwesenden Professor Summerlee nach
Südamerika zu begleiten und mit ihm zusammen die
Richtigkeit meiner Angaben an Ort und Stelle zu überprüfen.«
Und so war unter Beifallsrufen und Applaus unser Schicksal
besiegelt, und ich wurde von einem Menschenstrom zum
Ausgang gedrängt. Ich war völlig benommen und begriff nur
halb, welches ungeheure Geschehen sich da plötzlich für mich
entwickelt hatte.
Als ich auf der Straße stand, stob eine Gruppe lärmender
Studenten an mir vorbei. Einer der jungen Männer hatte einen
Schirm aufgespannt und fuchtelte wie ein Wilder damit in der
Luft herum. Ich sah, wie Professor Challenger von Schmäh-
und Hochrufen verfolgt in eine Droschke stieg, und war
plötzlich allein unter den silbrig schimmernden Lichtern der
Regent Street und dachte an Gladys und meine ungewisse
Zukunft.
Plötzlich berührte mich jemand am Ellbogen. Ich drehte
den Kopf und sah in die lustigen, etwas hochmütigen Augen
des großen, schlanken Mannes, der mein Reisebegleiter sein
sollte.
»Mr. Malone«, sagte er. »Wir sitzen bald im selben Boot.
Ich wohne gleich da drüben, im Albany. Hätten Sie vielleicht
eine halbe Stunde für mich Zeit? Ich möchte nämlich ein paar
Dinge mit Ihnen besprechen.«
#6
Damals war ich die strafende Hand Gottes
§
Lord John Roxton und ich gingen die Vigo Street hinunter
und dann durch das düstere Portal des berühmten
aristokratischen Wohnblocks Albany. Am Ende eines langen,
schlecht
beleuchteten
Korridors
stieß
meine
neue
Bekanntschaft eine Tür auf und drehte einen Lichtschalter um.
Eine Reihe von Lampen mit farbigen Schirmen verlieh dem
Raum
vor
uns
rötliches
Licht.
Eine
Atmosphäre
außergewöhnlicher Eleganz und betonter Männlichkeit schlug
mir entgegen. Eine Mischung aus Luxus, Wohlstand,
Geschmack und der für einen Junggesellen typischen
Unordnung. Dicke Teppiche und Brücken aus arabischen
Ländern, Gemälde und Stiche, deren Wert sicher unschätzbar
war, Trophäen, die von Lord Roxtons Siegen als Sportsmann
und Athlet zeugten, und eine ganze Reihe ausgestopfter
Tierköpfe aus allen Teilen der Welt, darunter der Kopf
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