Die Vergessene Welt
die Sklaventreiber verjagt.
Damals war ich die strafende Hand Gottes, das können Sie mir
ruhig glauben, junger Mann. Es gibt nämlich Zeiten, wo jeder
die Menschenrechte verteidigen muß, auch wenn es dabei
Blutvergießen gibt.
Wenn ich nicht diesen kleinen Privatkrieg angezettelt hätte,
ich müßte mich mein Leben lang schämen. Ich habe ihn selber
erklärt, selber ausgefochten und selber wieder beendet. Jede
von diesen Kerben steht für einen Sklavenmörder. Eine ganz
hübsche Strecke, was? Ich erwischte sie alle. Die dicke da ist für
Pedro Lopez, ihren Anführer. Ihm habe ich am Ufer eines
Nebenflusses des Putomayo das Handwerk gelegt … So, und
hier haben wir genau das Richtige für Sie.« Er hob ein
Prachtexemplar von einem Gewehr aus dem Schrank. »Kolben
schön der Schulter angepaßt, genaues Visier und fünf Schuß
Munition. Dem Schießeisen können Sie Ihr Leben
anvertrauen.«
Er gab es mir und machte seinen Gewehrschrank zu.
»Übrigens«, sagte er, als er sich wieder setzte, »was wissen
Sie eigentlich über diesen Challenger?«
»Ich habe ihn heute zum erstenmal gesehen.«
»Ich auch. Es ist schon komisch, daß wir für einen Mann in
den Dschungel gehen, den wir gar nicht kennen. Ein
halsstarriger alter Vogel ist das und bei seinen Kollegen
offensichtlich nicht allzu beliebt. Wie kam es denn überhaupt
dazu, daß Sie sich für die Sache interessierten?«
Ich erzählte ihm kurz von den Begebenheiten des
Vormittags, und er hörte mir aufmerksam zu. Dann holte er
eine Karte von Südamerika aus seiner Schublade und breitete
sie auf dem Tisch aus.
»Ich glaube, daß jedes einzelne Wort stimmt, was er sagt«,
erklärte er mit ernstem Gesicht. »Ich liebe Südamerika. Einen
großartigeren und reicheren Kontinent gibt es auf diesem
Planeten nicht. Ich habe ihn von Norden bis Süden bereist und
habe während meines Kampfes gegen die Sklavenhändler
klimatische Verhältnisse am eigenen Leibe erfahren, die man
sich hierzulande nicht vorstellen kann. Ich bin natürlich auch
mit Indianerstämmen in Berührung gekommen und habe ihre
Legenden und Gerüchte gehört. So unwahrscheinlich es klingen
mag, was sie einem alles erzählen, es steckt immer ein
Körnchen Wahrheit hinter den Dingen, die von Generation zu
Generation weitergegeben werden. Je besser man dieses Land
kennt, desto mehr begreift man, daß dort alles möglich ist.
Wirklich alles. Den Menschen stehen bloß ein paar schmale
Flußläufe zur Verfügung, wenn sie sich von einem Ort zum
anderen begeben wollen, alles andere ist undurchdringlicher
Urwald. Und hier im Mato Grosso …« – er fuhr mit seiner
Zigarre über einen Teil der Karte – »oder hier oben, wo die
Länder zusammenstoßen, würde mich nichts überraschen. Wie
dieser Professor heute abend schon sagte, gibt es hier
fünfzigtausend Meilen Wasserwege durch einen Urwald von
einer Ausdehnung größer als Europa. Die wenigen Pfade mit
Lichtungen, die der Mensch in den Dschungel geschlagen hat,
kann man vergessen. Hinzu kommt, daß die Flüsse oft
Hochwasser bis zu fünfzehn Metern führen und das Land zu
beiden Ufern tiefer Morast ist, durch den es kein
Durchkommen gibt. Warum sollte es in einem solchen Gebiet
nicht etwas Neues, Unvortellbares geben? Und warum sollten
wir nicht die Männer sein, die es entdecken? Außerdem …« –
die Augen in dem hageren Gesicht leuchteten vor Freude –
»muß man sich dort jede Meile hart erkämpfen. Ich bin wie ein
alter Golfball – die weiße Farbe hat sich längst abgestoßen. Das
Leben kann mich meinetwegen beuteln, das macht mir nichts
mehr aus. Etwas zu riskieren, das hält jung. Dann lohnt sich
das Leben wenigstens. Wir tendieren nämlich alle dazu, es uns
zu bequem zu machen und zu verweichlichen. Ich verlange
nichts als große, weite Gebiete, eine Waffe in der Faust und
Jagd auf etwas, was die Beute wert ist. Krieg, Hetzjagd,
Pferderennen, sogar Fliegen – alles habe ich hinter mir. Diese
Reise in das Unbekannte, wo Tiere hausen sollen, die einem
nicht einmal in einem Alptraum erscheinen, das, junger Mann,
reizt mich.«
Vielleicht habe ich zu langatmig von Lord Roxton erzählt,
aber ich werde ja nun für geraume Zeit mit ihm zusammen
sein, und das hat mich dazu veranlaßt, ihn so zu schildern, wie
ich ihn an jenem Abend sah. Allein der Zwang, meinen Bericht
über die Vorlesung im Zoologischen Institut vor
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