Die Vergessene Welt
eines
weißen Nashorns aus der Lado Enklave mit hochmütig
herunterhängender Unterlippe.
In der Mitte des Raumes ein schwarzgoldenes Louis-
Quinze-Tischchen, eine prachtvolle Antiquität, die durch
Glasränder und Brandflecken durch abgelegte Zigarren böse
zerschunden war. Darauf ein silbernes Tablett mit
Rauchwaren und Spirituosen. Mein Gastgeber goß in zwei
hohe Gläser eine ordentliche Ladung Whisky, die er jeweils mit
einem Spritzer Sodawasser aus einem Syphon verdünnte. Er
bot mir in einem Sessel Platz an, stellte ein Glas neben mich
und setzte sich schließlich, um mich mit unverhohlenem Blick
zu mustern. Seine Augen hatten etwas Rücksichtsloses, fast
Unverschämtes an sich und waren von der Farbe eines
Gletschersees.
Ich zündete die Zigarre an, die er mir angeboten hatte, und
betrachtete durch den blauen Dunst das Gesicht, das ich schon
oft auf Fotos gesehen hatte. Eine stark gebogene Nase,
ausgemergelte Backen, flachsblonde Haare, ein etwas
stacheliger Schnurrbart, ein Grübchen an dem energisch
vorgereckten Kinn. Lord Roxton war eine Mischung aus
Napoleon, Don Quichotte und Landedelmann, der mit Pferden
und Hunden umzugehen weiß. Sonne und Wind hatten seine
Haut gegerbt, seine Brauen waren buschig und etwas
überhängend, was seinen an sich schon kalten Augen etwas
Wildes verlieh. Von der Statur her war er übermäßig schlank,
aber kräftig gebaut. Kaum einer, das war bekannt, konnte
sich mit ihm an Ausdauer und Zähigkeit messen. Er war gut
einsachtzig groß, wirkte jedoch wegen der runden Schultern
kleiner. Das war also der berühmte Lord Roxton, der mir nun
gegenübersaß, auf seiner Zigarre herumkaute und mich
schweigend musterte.
»So«, sagte er schließlich. »Darauf haben wir uns jetzt
eingelassen, Sie und ich. Ich nehme an, daß Sie nicht damit
gerechnet haben, ich meine, als Sie da hingegangen sind.«
»Allerdings nicht.«
»Dasselbe gilt für mich. An so etwas hätte ich im Leben
nicht gedacht. Und siehe da – plötzlich steckt man mitten drin.
Ich bin erst vor drei Wochen aus Uganda zurückgekommen,
habe mir in Schottland etwas angeschafft und alle
Formalitäten erledigt. Schöne Geschichte, was? Wie sind Sie
denn auf die Idee gekommen, sich dafür zu melden?«
»Bei mir ist das reines Berufsinteresse«, sagte ich. »Ich bin
Journalist bei der Gazette.«
»Natürlich – das haben Sie ja gesagt. Übrigens, ich wollte
Sie um einen kleinen Gefallen bitten. Ich brauche Ihre Hilfe.«
»Gern.«
»Macht es Ihnen auch nichts aus, wenn es mit einem Risiko
verbunden ist?«
»Was für ein Risiko?«
»Das Risiko heißt Ballinger. Er ist Ihnen doch ein Begriff,
oder?«
»Nein.«
»Aber, aber, junger Mann, wo leben Sie denn? Sir John
Ballinger ist der beste Herrenreiter von ganz Nordengland. Auf
ebener Straße nehme ich es leicht mit ihm auf, aber im
Hindernisrennen ist er mir glatt überlegen. Jeder weiß, daß er
säuft wie ein Loch, wenn er nicht im Training ist. Er nennt es
Ausgleichssport. Seit Dienstag ist er im Delirium und tobt, daß
die Wände wackeln. Er wohnt genau über mir. Die Ärzte
sagen, daß er auf der Strecke bleibt, wenn ihm nicht jemand
was zu Essen reinzwängt. Das ist nun insofern ein Problem, als
er im Bett liegt und einen Revolver unter dem Kopfkissen hat.
Wenn sich ihm jemand nähert, hat er gedroht, ballert er ihm
die volle Ladung in den Wanst. Daß daraufhin das Personal in
Streik getreten ist, kann man verstehen.
Wenn mein Freund John schießt, dann trifft er, das können Sie
mir glauben. Er ist ein sturer Hund, das gebe ich zu, aber man
kann ihn doch nicht einfach krepieren lassen. Noch dazu, wo er
der langjährige Sieger des Grand National ist.«
»Und was wollen Sie jetzt unternehmen?« fragte ich.
»Ich hatte mir gedacht, daß Sie und ich, daß wir ihn
zusammen überrumpeln könnten. Vielleicht döst er gerade, und
dann kriegt schlimmstenfalls einer von uns beiden einen auf
den Pelz gebrannt, und der andere nimmt ihm dann den
Revolver ab. Anschließend binden wir ihm die Arme auf den
Rücken, lassen einen Schlauch kommen und verpassen ihm
eine richtig dicke, fette Suppe.«
Als ob mein Tag nicht schon vollgepackt genug gewesen
wäre! Jetzt auch noch diese verfahrene Angelegenheit. Ich bin
kein sonderlich tapferer Mensch. Meine irische Phantasie trägt
maßgeblich dazu bei, daß mir unbekannte und unversuchte
Dinge meist schlimmer vorkommen, als sie es in Wirklichkeit
sind. Andererseits
Weitere Kostenlose Bücher