Die Vergessene Welt
Mitternacht
abgeben
zu
müssen,
veranlaßte
mich
schließlich,
aufzubrechen.
Als ich Lord Roxton verließ, saß er in dem rötlichen Licht
seines Zimmers, ölte das Schloß seines Lieblingsgewehrs und
lächelte in sich hinein. Er war in Gedanken bei den Abenteuern,
die uns erwarteten, und mir war klar, daß ich mir für die
bevorstehenden Strapazen keinen kühleren Kopf und keinen
mutigeren Mann hätte wünschen können.
§
Müde, wie ich war, saß ich nach den wundersamen
Ereignissen des Tages noch lange bei McArdle, dem
Nachrichtenredakteur, und erklärte ihm den gegenwärtigen
Stand der Dinge, die er für wichtig genug erachtete, um am
Tag darauf Sir George Beaumont, den Chef, darüber zu
unterrichten. Wir kamen überein, daß ich nacheinander
ausführliche Berichte über die Ereignisse und den Fortgang
der Expedition in Briefform nach Hause schicken würde und
diese veröffentlicht werden sollten, wenn Professor Challenger
uns sein Einverständnis erteilt hatte. Bisher wußten wir ja noch
nicht einmal, in welchen Teil des Landes wir verschlagen
werden und welche Bedingungen sich an die Bekanntgabe der
geografischen Lage knüpfen würden. Eine diesbezügliche
telefonische Anfrage brachte uns lediglich eine wütende
Schmährede über die Presse im allgemeinen und die Gazette im
besonderen ein. Wir bekamen allerdings mitgeteilt, daß wir die
nötigen Informationen bei Abreise ausgehändigt bekämen –
falls wir die Höflichkeit besäßen, Tag und Stunde
bekanntzugeben. Bei einem zweiten Anruf bekamen wir nur die
jammernde Mrs. Challenger an den Apparat. Sie flehte uns an,
ihren schlecht gelaunten Mann doch um alles in der Welt in
Ruhe zu lassen, sie müsse schließlich seine Wutanfälle über sich
ergehen lassen. Ein dritter Versuch begann und endete
gleichzeitig mit einem fürchterlichen Geräusch und der
Mitteilung des Fernmeldeamts, daß Professor Challengers
Anschluß außer Betrieb sei. Danach unternahmen wir keine
weiteren Versuche, mit ihm in Verbindung zu treten.
Und nun, geduldiger Leser, kann ich mich nicht mehr direkt
an Sie wenden. Von jetzt an wird dies nur noch – wenn
überhaupt – durch die Zeitung geschehen, die ich vertrete. Den
Bericht
über
die
Ereignisse,
die
zu
einer
der
bemerkenswertesten Expeditionen aller Zeiten führten,
übergebe ich meinem Vorgesetzten, Mr. McArdle. Falls ich je
nach England zurückkehren werde, liegt dann wenigstens eine
Aufzeichnung darüber vor, wie alles zustande kam. Ich
schreibe diese letzten Zeilen an Bord des Überseedampfers
Francisca. Bevor ich sie beendet habe und sie dem Lotsen
anvertraue, der sie Mr. McArdle überbringen wird, lassen Sie
mich ein letztes Bild, eine letzte Erinnerung an das Land
skizzieren, das ich mit mir nehmen werde.
Es ist ein feuchter, nebeliger Morgen im Spätfrühling.
Kalter Nieselregen fällt träge auf das Pflaster. Drei Gestalten in
Regenmänteln mit hochgeschlagenen Kragen gehen den Kai
entlang zur Gangway des großen Dampfers, der die
Abfahrtsflagge gehißt hat. Vor ihnen schiebt ein Gepäckträger
einen Karren her, der mit Kisten, Zeltplanen und Gewehrkästen
beladen ist. Professor Summerlee, eine lange, melancholische
Gestalt, läßt den Kopf hängen. Sein Schritt ist schleppend; er
bedauert offensichtlich jetzt schon seine Entscheidung. Lord
John Roxton schreitet munter aus, das Gesicht unter der
Jagdkappe mit den Ohrenschützern erwartungsvoll gespannt.
Und was mich anbelangt, so bin ich froh, die mühsamen Tage
der Vorbereitungen und des Abschiednehmens hinter mir zu
haben, was man mir zweifelsohne ansieht.
Und plötzlich, wir sind gerade an der Gangway
angekommen, ein Brüllen hinter uns. Es ist Professor
Challenger, der uns versprochen hat, uns Lebewohl zu sagen.
Er rennt hinter uns her – keuchend, mit rotem Gesicht und
cholerisch wie immer.
»Nein, danke«, sagte er, ohne dazu aufgefordert zu sein,
»ich komme nicht mit an Bord. Bloß ein paar Worte, und das
läßt sich auch sehr gut hier erledigen. Glauben Sie bloß nicht,
daß ich mich Ihnen gegenüber zu Dank verpflichtet fühle, weil
Sie diese Reise unternehmen. Mich läßt es völlig kalt, womit Sie
sich die Zeit vertreiben, und ich lehne jede Art von
Verantwortung ab. Wahr bleibt, was wahr ist, und Sie können
berichten, was Sie wollen, das ändert daran absolut gar nichts.
Sie erreichen höchstens, daß ein Haufen sensationsgieriger
Menschen auf seine Kosten kommt. Meine
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