Die Vergessene Welt
seine
Instruktionen mißachten würden.«
»Da haben wir uns auf etwas eingelassen«, maulte der
Professor. »Schon in London ist mir die Angelegenheit nicht
geheuer vorgekommen, und jetzt, das muß ich schon sagen,
kommt sie mir erst recht nicht geheuer vor. Wenn in diesem
Umschlag nicht ganz genaue Angaben stecken, nehme ich den
nächsten Dampfer nach Para, um die Bolivia noch zu
erwischen, und fahre nach Hause.
Ich habe schließlich Wichtigeres zu tun, als in der
Weltgeschichte herumzuirren und die hirnrissigen Behauptungen
eines Wahnsinnigen zu widerlegen. Also, wie steht es,
Roxton?«
»Es ist soweit«, sagte Lord John. »Einen Tusch, bitte.«
Er schnitt den Umschlag mit seinem Taschenmesser auf, zog
ein zusammengefaltetes Blatt Papier heraus, glättete es
vorsichtig und legte es auf den Tisch.
Das Blatt war leer.
Lord John drehte es um. Auch auf der Rückseite nicht ein
Wort.
Wir sahen uns schweigend an, bis Professor Summerlee laut
herauslachte.
»Das ist allerdings ein offenes Geständnis«, sagte er
grimmig, als er sich wieder gefangen hatte. »Reicht Ihnen das
als Beweis, daß der Kerl ein Schwindler ist? Wir sind einem
hundsgemeinen Betrüger auf den Leim gegangen und können
uns jetzt zum Gespött machen lassen.«
»Vielleicht hat er mit unsichtbarer Tinte geschrieben«, sagte
ich.
»Das glaube ich nicht«, sagte Lord John und hielt das Blatt
gegen das Licht. »Es hat keinen Sinn, sich etwas vormachen zu
wollen, junger Mann. Auf diesem Blatt Papier – dafür lege ich
die Hand ins Feuer – ist nie ein Wort geschrieben worden.«
Und genau in dem Moment dröhnte eine Stimme von der
Veranda zu uns herein.
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich zu Ihnen
setze?«
Wir fuhren herum und trauten unseren Augen nicht, aber da
stand er im Türrahmen, einen Strohhut mit buntem Band auf
dem Kopf, die Hände in die Taschen vergraben und die Füße in
spitzigen Segeltuchschuhen. Er warf den Kopf in den Nacken,
reckte den Bart nach vorn und blickte uns unter halb gesenkten
Lidern hervor mit unduldsamen Augen an.
»Ich fürchte«, sagte Professor Challenger und zog die Uhr
aus der Tasche, »daß ich ein paar Minuten zu spät gekommen
bin. Ich hatte nämlich von Anfang an beabsichtigt, vor dem
angegebenen Termin bei Ihnen zu sein. Daß Sie den Umschlag
nun doch selbst geöffnet haben, ist ein bedauerliches
Mißgeschick, an dem ein Stümper von einem Steuermann und
eine Sandbank schuld sind. Ich nehme an, daß mein verehrter
Kollege, Professor Summerlee, die Gelegenheit bereits genutzt
und seine Meinung über mich zum besten gegeben hat – womit
bewiesen wäre, daß alles auch sein Gutes hat.«
»Ihr unerwartetes Auftauchen, Sir«, sagte Lord John steif,
»empfinde ich zwar als Erleichterung, da dadurch unsere
Mission doch nicht verfrüht zu Ende zu sein scheint, aber ich
finde Ihre Methoden reichlich ungewöhnlich, um nicht zu
sagen lächerlich.«
Professor Challenger ersparte sich eine Antwort, kam herein
und schüttelte uns der Reihe nach die Hand. Professor
Summerlee bedachte er sogar mit einer leichten Verbeugung,
bevor er sich in einen Korbsessel fallen ließ, der unter dem
beachtlichen Gewicht ächzte und stöhnte.
»Ist alles vorbereitet?« fragte er.
»Wir können morgen aufbrechen.«
»Perfekt- dann werden Sie morgen aufbrechen. Einen
Marschplan brauchen Sie mittlerweile nicht mehr, weil Sie in
den Genuß meiner persönlichen Führung kommen werden. Es
dürfte Sie eigentlich nicht erstaunen, wenn ich Ihnen sage, daß
ich gleich zu Anfang beschlossen habe, die Expedition
persönlich zu leiten. Selbst ein Marschplan, in den jeder Busch
und Strauch eingezeichnet gewesen wären, würde nur ein
jämmerlicher Ersatz für meine intelligente, wohlbedachte
Führung sein. Und was diesen kleinen Trick mit dem
Umschlag anbelangt, so sah ich mich aus dem Grund dazu
gezwungen, als ich es unter allen Umständen vermeiden
wollte, die Reise mit Ihnen zusammen über mich ergehen
lassen zu müssen. Sie hätten ja doch versucht, mich dazu zu
überreden, mit Ihnen in See zu stechen.«
»Irrtum!« rief Professor Summerlee prompt. »Ich für meine
Person hätte nichts dergleichen versucht.«
Professor Challenger lächelte nachsichtig. »Sie werden
verstehen, daß es für mich angenehmer war, mich während
der Reise nicht mit anderen abgeben zu müssen. Ich hielt es für
ausreichend, erst dann auf der Bildfläche zu erscheinen, wenn
der entscheidende
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