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Die Vergessene Welt

Die Vergessene Welt

Titel: Die Vergessene Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sir Arthur Conan Doyle
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erst im Laufe seines Lebens.
    Der nächste Tag brachte den eigentlichen Start zu unserer
    Expedition. Wir stellten fest, daß alles Gepäck bequem in den
    beiden Kanus Platz hatte, und teilten uns in zwei Besatzungen
    von je sechs Mann auf. Im Interesse des allgemeinen Friedens
    setzten wir in jedes Boot einen Professor. Ich selber fuhr mit
    Challenger, der gut aufgelegt war und vor Wohlwollen
    strahlte. Da ich ihn aber schon in anderer Stimmung erlebt
    habe, bin ich selten überrascht, wenn ein Gewitter aus heiterem
    Himmel kommt. In seiner Gegenwart fühlt man sich nie ganz
    unbefangen, weil man ständig damit rechnet, daß seine Laune
    umschlägt.
    Zwei Tage lang fuhren wir einen mittelgroßen, einige
    hundert Meter breiten Fluß hinauf, dessen Wasser dunkel und
    doch klar war. Meistens konnte man bis auf den Grund sehen.
    Das ist bei vielen Zuflüssen des Amazonas der Fall. Andere
    wiederum sind gelblich und trübe. Dieser Unterschied rührt
    von
    der
    verschiedenen
    Bodenbeschaffenheit
    ihrer
    Ursprungsgebiete her. Die dunklen Gewässer zeugen von
    vermoderter Vegetation, die anderen verdanken ihre Färbung
    lehmigem Boden. Zweimal kamen wir an Stromschnellen, die
    wir in beiden Fällen durch einen Transport über Land von über
    einer halben Meile Marsch umgehen mußten. Die Wälder auf
    beiden Seiten sind urzeitlich und leichter zu passieren als
    jüngere
    Baumbestände.
    Wir
    hatten
    keine
    großen
    Schwierigkeiten, mit unseren Kanus hindurchzukommen.
    Wie könnte ich jemals das feierliche, rätselvolle Schweigen
    vergessen? Die Höhe der Bäume und der Durchmesser ihrer
    Stämme übertrafen alles, was ich Stadtmensch mir hätte
    vorstellen können. Wie prachtvolle Säulen ragten sie hinauf.
    Hoch über unseren Köpfen konnten wir undeutlich erkennen,
    wie die Äste in beinahe gotischen Bögen ausschwangen und
    sich zu einem einzigen, dichtverstrebten Laubdach vereinigten.
    Nur hie und da vermochte ein goldener Sonnenstrahl
    durchzudrängen,
    um
    als
    blendender
    Lichtpfeil
    das
    majestätische Halbdunkel zu erhellen. Als wir geräuschlos über
    den dicken, weichen Teppich aus vermodertem Pflanzenwerk
    gingen, überkam uns das gleiche ehrfruchtsvolle Schweigen,
    das einen im Zwielicht eines Domes befällt. Professor
    Challengers übliche Lautstärke sank zu einem Geflüster
    herab. Ich hatte keine Ahnung von den Namen dieser
    Baumriesen, aber unsere Wissenschaftler zeigten mir die
    Zedern, die großen Baumwoll- und Mahagonibäume und all
    den Überfluß an mannigfaltigen Pflanzen. Bunte Orchideen
    und Moose in wunderbarer Farbenpracht glühten auf den
    dunklen Baumstämmen. Wo ein verirrter Sonnenstrahl auf
    eine goldene Allamanda, die scharlachroten Sternbündel der
    Tasconia oder das satte Tiefblau der Ipomae fiel, sah es aus
    wie in einem Traum aus einem Märchenland. Das Leben muß
    sich in diesen Urwäldern ständig nach oben zum Licht
    durchkämpfen. Jede Pflanze, sogar die kleinste, windet und
    ringelt sich der grünen Oberfläche entgegen und schlingt sich
    um ihre stärkeren Brüder.
    Tierisches Leben regte sich kaum in den majestätischen
    Gewölben, die sich vor uns erstreckten. Aber eine beständige
    Unruhe weit über unseren Köpfen signalisierte die bunte Welt
    der Schlangen und der Affen, der Vögel und Faultiere, die dort
    oben im Sonnenlicht leben und wohl verwundert auf uns
    winzige, dunkle, dahinstolpernde Gestalten in der Tiefe
    herabblickten.
    In
    der
    Morgendämmerung
    und
    bei
    Sonnenuntergang schrien Brüllaffen, und Sittiche brachen in
    schrilles Gekreische aus. Während der heißen Tagesstunden
    jedoch drang nur das durchdringende Sirren der Insekten an
    unser Ohr. Sonst regte sich nichts im Dunkel zwischen den
    Baumstämmen. Nur einmal rannte ein krummbeiniges,
    watschelndes Etwas, ein Ameisenbär oder was auch immer,
    unbeholfen vor uns davon und verschwand im Schatten. Das
    war das einzige Zeichen von tierischem Leben, das ich in
    diesem riesigen Waldgebiet am Amazonas sah.
    Und doch gab es Anzeichen dafür, daß sogar menschliches
    Leben in dieser Abgeschiedenheit existierte, und gar nicht so
    weit von uns entfernt: Am dritten Reisetag bemerkten wir in
    der Luft ein rhythmisches und feierliches Trommeln, das den
    ganzen Vormittag hindurch anhielt. Im Abstand von wenigen
    Metern zogen unsere Boote dahin, als wir es zum erstenmal
    hörten. Unsere Indianer erstarrten. Unbeweglich wie
    Bronzestatuen lauschten sie, und aus ihren Gesichtern sprach
    Entsetzen.
    »Was ist das?« fragte

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