Die Vergessene Welt
junger
Freund soll entscheiden.«
»Gut«, sagte ich und spürte, wie mir bereits die Röte ins
Gesicht stieg. »Ich bin für Gladys-See.«
»Wäre Zentralsee nicht angebrachter?« gab Professor
Summerlee zu bedenken.
»Vielleicht«, sagte ich. »Ich bin aber trotzdem für Gladys-
See.«
Challenger bedachte mich mit einem väterlich mitleidigen
Blick. »Diese Kinder!« sagte er kopfschüttelnd. »Also
meinetwegen – dann eben Gladys-See.«
#12
Es war grauenvoll
§
Wie bereits erwähnt – oder vielleicht auch nicht, denn mein
Gedächtnis spielt mir plötzlich bedauerliche Streiche, war ich
stolz, daß drei so bedeutende Männer sich bei mir bedankt und
betont hatten, ich habe die Situation gerettet beziehungsweise
wesentlich verbessert. Als jüngster in unserer Gruppe – nicht
allein an Jahren, sondern auch an Erfahrung, Wissen und all
den anderen Dingen, die einen Mann ausmachen – hatte ich
von Anfang an in ihrem Schatten gestanden. Und nun hatte ich
bewiesen, daß auch ich etwas leisten konnte. Ich aalte mich in
diesem
Gedanken.
Leider!
Die
aufglimmende
Selbstzufriedenheit,
dieses
zusätzliche
Maß
an
Selbstvertrauen sollten mich noch in derselben Nacht zum
schrecklichsten Abenteuer meines Lebens verleiten. Wenn ich
bloß daran denke, wird mir übel!
Es kam so: Das Abenteuer auf dem Baum hatte mich
übermäßig erregt, und an Schlaf war nicht zu denken.
Summerlee hielt Wache. Er saß vornübergebeugt an unserem
kleinen Feuer, eine komische, eckige Gestalt. Seine Flinte hatte
er über die Knie gelegt, und sein spitzer Ziegenbart wackelte
jedesmal, wenn er schläfrig nickte. Lord John lag still in seinen
südamerikanischen Poncho gewickelt, und Challenger
schnarchte, daß es nur so in den Bäumen grollte. Der
Vollmond schien hell, und die Luft war frisch und kühl. Welch
eine Nacht für einen Spaziergang!
Warum eigentlich nicht? dachte ich plötzlich.
Angenommen, ich schlich mich leise fort. Angenommen, ich
fand einen Weg hinunter zum See. Angenommen, ich war zum
Frühstück mit einer Beschreibung dieses Ortes zurück – würde
man mich dann nicht für einen noch brauchbareren Mann
halten?
Und falls sich Summerlee dann durchsetzte und eine
Möglichkeit zum Entkommen gefunden wurde, kehrten wir
nach London zurück und kannten das innerste Geheimnis des
Plateaus, zu dem ich allein und als einziger vorgedrungen
war.
Ich dachte an Gladys und McArdle. Einen Artikel von
mindestens drei Spalten würde das geben, und damit war
meine Karriere gesichert.
Ich griff mir ein Gewehr, steckte mir die Taschen voll
Patronen und schlüpfte zwischen den Dornbüschen am
Eingang unserer Schutzhecke hindurch. Mein letzter Blick fiel
auf den eingeschlafenen Summerlee, den unfähigsten aller
Wachtposten, der noch immer vor dem verglimmenden Feuer
saß und mit dem Kopf nickte.
Ich war noch keine hundert Meter weit gegangen, als ich
meinen voreiligen Entschluß schon bereute. Ich habe eine zu
lebhafte Phantasie, um ein wirklich mutiger Mann zu sein,
aber allein schon der Gedanke, für ängstlich gehalten zu
werden, macht mich krank. Ich brachte es einfach nicht fertig,
mich unverrichteter Dinge wieder zurückzuschleichen, also
ging ich weiter, obwohl sich alles in mir dagegen sträubte.
Es war grauenvoll. Die Bäume standen so dicht, und ihre
Zweige waren so ineinander verfilzt, daß ich vom Mondlicht
nichts sehen konnte. Nur da und dort bildeten die hohen
Bäume vor dem Hintergrund des bestirnten Himmels ein
wirres Netz. Als meine Augen sich an die Finsternis
gewöhnt hatten, lernte ich verschiedene Grade der
Dunkelheit unter den Bäumen unterscheiden. An einzelnen
Stellen konnte man undeutliche Umrisse sehen. Dazwischen
lagen wie Höhlenöffnungen tiefschwarze Schatten, vor
denen ich voller Schrecken zurückzuckte. Ich mußte an den
verzweifelten Schrei des gemarterten Iguanodons denken,
jenen entsetzlichen Schrei, der die Wälder hatten erzittern
lassen, und an die warzige, von Blut triefende Schnauze, die
ich im Schein von Lord Johns Fackel gesehen hatte. Im
Jagdgebiet dieser Bestie befand ich mich jetzt. Jeden
Augenblick konnte sie sich aus dem Schatten auf mich
stürzen – dieses namenlose, schreckliche Ungeheuer. Ich
hielt an, nahm eine Patrone aus der Tasche und öffnete die
Kammer meines Gewehrs. Als ich den Hebel berührte, setzte
mein Herz aus. Was ich mitgenommen hatte, war die
Schrotflinte und nicht mein Gewehr!
Wieder war ich nahe
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