Die Vergessene Welt
kein
Gehirn besaß und sich demzufolge nur durch seine Instinkte
leiten ließ, mußte das Ungeheuer, das mich verfolgt hatte, seine
Jagd in dem Moment aufgegeben haben, da seine Beute im
wahrsten Sinne des Wortes spurlos verschwunden war.
Nach diesen Überlegungen wagte ich es schließlich, bis an
den Rand der Grube hinaufzuklettern und darüber
hinwegzuspähen. Die Sterne waren am Verblassen, der
Himmel wurde bereits heller, und ein kühler Morgenwind blies
mir ins Gesicht. Von meinem Feind war nichts zu hören und
zu sehen.
Ich kletterte vollends aus der Grube und hockte mich
daneben auf den Boden, bis ich den Mut aufbrachte, mich über
den Pfad zurückzustehlen. Ich fand sogar das Gewehr wieder,
das ich weggeworfen hatte, hob es auf und stieß schließlich auf
den Bach, der mir die Richtung zum Lager anzeigte.
Und so machte ich mich auf den Heimweg, wobei ich
tausendmal ängstlich über die Schulter blickte.
Plötzlich vernahm ich etwas, das mich an meine fernen
Gefährten mahnte. Von weither erscholl durch die klare, stille
Morgenluft der scharfe, peitschende Ton eines einzelnen
Gewehrschusses. Ich blieb stehen und lauschte, aber es folgte
nichts weiter. Einen Moment lang erschreckte mich der
Gedanke, irgendeine akute Gefahr könnte über meine Freunde
hereingebrochen sein, aber dann fiel mir eine einfachere und
natürlichere Erklärung ein. Es war schon heller Tag. Sie hatten
nun ohne Zweifel meine Abwesenheit bemerkt, nahmen an, daß
ich mich im Wald verirrt hätte, und hatten diesen Schuß
abgefeuert, um mir die Richtung zu weisen. Wir hatten uns
zwar strikt gegen jedes Schießen entschieden, wenn sie jedoch
glaubten, daß ich in Lebensgefahr schwebte, würden sie nicht
zögern. Ich mußte also so schnell wie möglich zurück und sie
beruhigen.
Ich war müde und erschöpft, und so kam ich nicht so rasch
voran, wie ich gern wollte. Aber endlich gelangte ich in
bekannte Gefilde. Zu meiner Linken lag der Sumpf der
Pterodactylen, vor mir war die Iguanodon-Wiese. Wenig später
war ich im letzten Waldgürtel, der mich von Fort Challenger
trennte. Mit lauter Stimme rief ich meine Gefährten, um ihre
Befürchtungen zu zerstreuen. Keine Antwort kam. Diese Stille
schien mir nichts Gutes zu verheißen. Ich beschleunigte meine
Schritte und rannte das letzte Stück. Die Schutzhecke erhob sich
vor mir genau so, wie ich sie verlassen hatte, aber das Tor stand
offen. Ich stürzte hinein. Ein furchtbarer Anblick bot sich mir
im kalten Morgenlicht. Unsere Ausrüstung lag in wüstem
Durcheinander über den Boden verstreut. Meine Kameraden
waren verschwunden, und neben der verglühenden Asche
unseres Feuers war das Gras rot gefärbt von einer scheußlichen
Blutlache.
Von diesem plötzlichen Schock war ich so betäubt, daß ich
für kurze Zeit ganz von Sinnen gewesen sein muß. Wie man
sich auf einen bösen Traum besinnt, erinnere ich mich dunkel,
daß ich planlos um das verlassene Lager herum durch den
Wald irrte und immer wieder laut nach meinen Kameraden rief.
Die schweigenden Schatten aber gaben keine Antwort. Der
schreckliche Gedanke, daß ich sie nie wiedersehen würde und
von jetzt an allein und verlassen an diesem entsetzlichen Ort
wäre, ohne Aussicht, je wieder in die Außenwelt zu gelangen,
trieb mich zur Verzweiflung. Ich hätte mir die Haare ausreißen
und mit dem Kopf gegen die Bäume rennen mögen. Jetzt erst
begriff ich, wie sehr ich mich auf meine Gefährten verlassen
hatte – auf Challengers unerschütterliches Selbstvertrauen und
auf Lord Johns überlegene, humorvolle Kühle. Ohne sie war ich
wie ein Kind im Dunkeln, hilflos und ohnmächtig. Ich wußte
nicht, wohin ich mich wenden oder was ich zuerst tun sollte.
Nachdem ich geraume Zeit in Verwirrung dagesessen hatte,
machte ich mich daran, zu untersuchen, was für ein
unverhofftes Mißgeschick meine Gefährten ereilt haben
mochte. Der Zustand des Lagers sprach dafür, daß sie
angegriffen worden waren, und der Gewehrschuß gab den
Zeitpunkt an. Da nur ein einziger Schuß gefallen war, mußte
man annehmen, daß alles in Sekundenschnelle vorüber
gewesen war. Die Gewehre lagen noch am Boden, und eines
davon – das von Lord John – enthielt eine leere Patronenhülse.
Challengers und Summerlees Decken neben dem Feuer
sprachen dafür, daß sie zur Zeit des Angriffs noch geschlafen
hatten. Die Kisten mit Munition und Lebensmitteln sowie
unsere Kameras und Plattenkästen lagen im wüsten
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