Die Vergessene Welt
Strophantussaft getaucht
und in verwestem Fleisch aufbewahrt – mehr Erfolg beschieden
sein. Für den einzelnen Jäger allerdings, der eine solche Bestie
angreift, sind solche Pfeile kaum von Nutzen, weil das Gift in
dem schwerfälligen Kreislauf nur langsam wirkt und das
Ungeheuer, bevor seine Kräfte erlahmen, seinen Angreifer
immer noch überfallen und zermalmen kann. In unserem Fall
aber hagelte ein Schauer von Pfeilen aus allen Felsspalten auf
die Drachen herab, die uns bis zum Fuß der Treppen gefolgt
waren. Innerhalb einer Minute waren sie damit regelrecht
gespickt, kratzten und geiferten aber immer noch ohne
jegliches Schmerzempfinden an den Stufen, krochen sogar
einige Meter hinauf und rutschten dann wieder nach unten.
Endlich wirkte das Gift. Der erste stöhnte auf und ließ den
riesigen breiten Kopf zur Erde sinken. Der andere sprang mit
schrillen, jaulenden Schreien im Kreis herum, stürzte dann
ebenfalls nieder und zuckte noch einige Minuten lang im
Todeskampf, bevor auch er starr und still liegen blieb.
Mit Triumphgeheul kamen die Indianer aus ihren Höhlen
herab und vollführten einen wilden Siegestanz um die riesigen
Kadaver. In der Nacht zerteilten sie die Ungeheuer und
schafften sie fort, nicht etwa, um sie zu essen – das Gift war
noch wirksam –, sondern, um dem Aufkommen einer Seuche
vorzubeugen. Die riesigen Herzen jedoch, jedes so groß wie ein
Kissen, lagen noch dort und schlugen langsam und gleichmäßig
mit sanftem Heben und Senken in schrecklichem Eigenleben
weiter. Erst am dritten Tag hörten die Ganglien auf zu arbeiten.
Später, wenn mir statt einer Blechkiste wieder ein
Schreibtisch zur Verfügung stehen wird und besseres
Schreibmaterial als ein abgenutzter Bleistiftstummel und ein
letztes zerknittertes Notizbuch, werde ich einen ausführlichen
Bericht über die Accala-Indianer schreiben, über unser Leben
bei ihnen und die Einblicke in weitere seltsame Verhältnisse
des wunderlichen Maple-White-Landes, die sich uns auftaten.
Mein Gedächtnis wird mich bis dahin bestimmt nicht im Stich
lassen, denn solange ich atme, wird jede einzelne Stunde und
jedes Ereignis dieser Zeit genauso klar und scharf in meiner
Erinnerung bleiben wie die ersten bewußten Kindheitserlebnisse.
Der Tag wird kommen, an dem ich jene wundersame
Mondnacht beschreiben werde, in der ein junger Ichthyosaurus
– ein absonderliches Geschöpf, halb wie ein Seehund, halb
wie ein Fisch aussehend, mit knöchern überdachten Augen
beiderseits der Schnauze und einem dritten Auge oben auf
dem Kopf – sich im Netz der Indianer verfing und unser Kanu
beinahe umwarf, ehe wir ihn ans Ufer gezogen hatten. In der
gleichen Nacht schoß eine grüne Wasserschlange aus dem
Schilf hervor und riß den Steuermann aus Challengers Kanu
mit sich in die Tiefe. Ich werde auch von dem großen weißen,
nächtlichen Lebewesen erzählen – war es ein Säugetier oder
Reptil? –, das in einem unzugänglichen Sumpf östlich des Sees
lebte und mit schwach phosphoreszierendem Glanz im Dunkeln
umherstreifte. Die Indianer hatten derartige Angst vor ihm, daß
sie die Gegend sorgsam mieden. Obwohl wir zweimal
hingingen und es beide Male sehen konnten, kamen wir nicht
durch den tiefen Sumpf hindurch, in dem es hauste. Ich kann
daher nur sagen, daß es größer als eine Kuh war und einen
starken Moschusgeruch ausströmte. Ich werde auch von dem
riesigen Vogel berichten, der Professor Challenger eines Tages
bis zu den Höhlen verfolgte – von einem Laufvogel, viel größer
als ein Strauß, mit geierartigem Hals und einem Kopf wie der
leibhaftige Tod. Noch während Challenger sich über die Stufen
in Sicherheit brachte, schlug ein einziger Hieb des scharfen
Krummschnabels den Absatz von seinem Stiefel, als wäre er
abgemeißelt. Hier aber bewährten sich die modernen Waffen,
und die riesige Bestie, zwölf Fuß von Kopf bis Kralle, brach
unter Lord Johns Schüssen zusammen. Mit den mächtigen
Flügeln flatternd und mit den Beinen um sich schlagend, starrte
sie uns aus gelben Augen an. Hoffentlich erlebe ich es, den
heimtückischen flachen Schädel dieses Phororachus unter den
Jagdtrophäen im Albany zu sehen. Und schließlich werde ich
eine
Beschreibung
des
Toxodon
geben,
des
Riesenmeerschweins von zehn Fuß Länge mit vorstehenden
Meißelzähnen, das wir erlegten, als es im Morgengrauen
am Seeufer trank.
Auch jene herrlichen Sommerabende will ich skizzieren, an
denen wir
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