Die Vergessene Welt
Lord John, ich nehme doch an, daß Sie einen
derartigen Blödsinn nicht unterstützen.«
»Ein genialer Einfall«, sagte der Edelmann. »Ich bin
wirklich gespannt, ob das System auch funktioniert.«
»Es wird funktionieren, da können Sie Gift darauf nehmen«,
sagte Challenger. »Seit Tagen zerbreche ich mir den Kopf, wie
wir von diesen Klippen wieder herunterkommen. Daß es keinen
Tunnel gibt, der nach unten führt, und wir nicht hinunterklettern
können, steht fest. Ebenfalls, daß wir keine Brücke zu der Zinne
hinüber konstruieren können. Was also dann? Vor einiger Zeit
habe ich unseren jungen Freund hier darauf aufmerksam
gemacht, daß aus den Geysiren freier Wasserstoff ausströmt.
Die Idee, einen Ballon zu konstruieren, war also naheliegend.
Ich hatte einige Schwierigkeiten, das gebe ich zu, das Problem
des Ballons selbst zu lösen, aber wie Sie sehen, habe ich auch
diese Schwierigkeit überwunden. Köpfchen muß man eben
haben. Hier das Resultat meines Denkprozesses.«
Er hakte den Daumen in einen Riß seines zerschlissenen
Jacketts und deutete stolz auf seine Erfindung.
»Ein Hirngespinst ist das, weiter nichts«, maulte
Summerlee.
Doch Lord John war begeistert. »Ein schlauer Fuchs, was?«
flüsterte er mir zu und wandte sich an Challenger. »Und worin
findet die Reise statt?« fragte er.
»Darum kümmere ich mich jetzt anschließend«, antwortete
der Professor. »Die Pläne für Herstellung und Befestigung habe
ich bereits im Kopf. Aber erst will ich Ihnen einmal beweisen,
daß mein Flugkörper funktioniert.«
»Und uns alle miteinander in die Lüfte hebt?« fragte
Summerlee spöttisch.
»Nein, jeden einzelnen, der Reihe nach. Wie an einem
Fallschirm wird einer nach dem anderen von den Klippen
schweben, und der Ballon wird dann mit Hilfsmitteln, die ich
noch anfertigen muß, wieder nach oben gezogen. So, und jetzt
ans Werk.«
Er rollte einen großen, in der Mitte eingekerbten
Besaitbrocken herbei, an dem man leicht ein Seil befestigen
konnte. Dazu benutzte er das Kletterseil, das wir mit aufs
Plateau genommen hatten. Es war über hundert Fuß lang und
zwar dünn, aber fest. Challenger hatte eine Art Lederkragen
angefertigt, an dem zahlreiche Riemen befestigt waren. Diesen
Kragen legte er auf die obere Hälfte des Ballons und band die
Riemen unten zusammen, so daß sich der durch die Last
entstehende Druck auf eine größere Oberfläche verteilte, dann
wurde der Basaltbrocken an den Riemen festgebunden. Das
freie Ende des Seils wickelte sich der Professor mehrmals um
den Arm.
»Ich will Ihnen nun die Tragkraft meines Ballons
demonstrieren«, sagte er mit einem Lächeln voll freudiger
Erwartung und trennte mit einem Messer die zahlreichen
Ankertaue durch.
Der prall gefüllte Sack schoß mit einem mächtigen Ruck in
die Luft. Im gleichen Augenblick wurde Challenger von den
Füßen gerissen und mit hochgezogen. Es gelang mir gerade
noch, die Arme um seine nach oben entschwindende Taille zu
schlingen, da wurde auch ich schon in die Lüfte entführt. Lord
John packte mich mit hartem Griff um die Beine. Aber ich
fühlte, daß auch er schon den Boden unter den Füßen verlor.
Für einen Augenblick sah ich vor meinem inneren Auge vier
Forschungsreisende wie eine Wurstkette über das Land
dahinsegeln, das sie entdeckt hatten, aber zum Glück hatte
wenigstens die Tragfähigkeit des Seiles ihre Grenzen, wenn
auch die Auftriebskräfte dieser höllischen Maschine
beängstigend waren. Es gab einen Knall, und wir lagen unter
Seilschlingen auf dem Boden. Als wir uns wieder aufrappelten,
sahen wir weit oben im tiefblauen Himmel einen schwarzen
Fleck, wo der Basaltbrocken dahinsauste.
»Großartig!« rief der unverwüstliche Challenger und rieb
sich den zerschundenen Arm. »Eine gründliche und
befriedigende Demonstration! Einen derartigen Erfolg konnte
ich nicht erhoffen. Meine Herren, ich verspreche Ihnen, daß in
einer Woche der nächste Ballon fertiggestellt ist und Sie fest
damit rechnen dürfen, in ihm den ersten Abschnitt unserer
Heimreise sicher und bequem zurückzulegen.«
§
Bis zu dieser Stelle habe ich jedes der Ereignisse sofort
anschließend niedergeschrieben. Jetzt beende ich meinen
Bericht im alten Lager am Fuße der Felszinne, wo Zambo so
lange auf uns gewartet hat. Inzwischen haben wir alle unsere
Nöte und Gefahren wie einen Traum auf der Höhe jener
rötlichen Felsen zurückgelassen, die sich jetzt wieder hoch vor
uns
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