Die Vergessenen Welten 10 - Die Küste Der Schwerter
Durcheinander von Decken und Kopfkissen.
Kierstaad bemerkte kaum etwas von diesen Dingen. In dem Augenblick, als er die Tür öffnete, hatte sich sein Blick sofort auf einen einzelnen Gegenstand fixiert, der an der Kopfseite von Bruenors Bett an der Wand hing.
Aegisfang. Wulfgars Kriegshammer.
Auf Zehenspitzen durchquerte Kierstaad den Raum, um zu der mächtigen Waffe zu gelangen. Er sah die wunderbaren Runen, die in ihren glänzenden Kopf aus Mithril eingraviert waren – die Zwillingsberge, das Symbol von Dumathoin, dem Zwergengott und Hüter der Geheimnisse. Als Kierstaad genauer hinsah, machte er Teile einer anderen Rune aus, die unter den Zwillingsbergen vergraben war. Die Tarnung war so perfekt, daß er nicht bestimmen konnte, welche Rune es sein mochte. Doch er kannte die Legende von Aegisfang. Jene verborgenen Runen stellten auf der einen Seite die Zeichen von Moradin dar, dem Seelenschmied, dem größten der Zwergengötter, und auf der anderen Seite die Axt von Clangeddin, dem Kriegsgott der Zwerge.
Kierstaad stand lange da, starrte die Waffe an, dachte an die Legende von Wulfgar, dachte an Berkthgar und Revjak. Wo paßte er selbst in diese Geschichte? Falls der Konflikt zwischen dem früheren Anführer von Siedelstein und dem gegenwärtigen Anführer des Elchstammes ausbrechen sollte, welche Rolle würde Kierstaad dann spielen?
Eine größere, das wußte er, wenn er Aegisfang in den Händen hielt. Er dachte kaum über die Bewegung nach, als er den Kriegshammer ergriff und von der Wand nahm.
Wie schwer er war! Kierstaad hielt ihn dicht vor sich und hob ihn dann mit großer Anstrengung über den Kopf.
Er knallte gegen die Decke, und der junge Mann fiel fast seitlich um, als er seinen Schwung nicht mehr richtig kontrollieren konnte. Als er endlich das Gleichgewicht wiedererlangt hatte, mußte Kierstaad über seine Torheit lachen. Wie konnte er hoffen, den mächtigen Aegisfang schwingen zu können?
Wie konnte er hoffen, in die riesigen Fußstapfen des mächtigen Wulfgar zu treten?
Er hob den legendären Kriegshammer wieder dicht an die Brust und umarmte ihn ehrfürchtig. Er konnte seine Stärke fühlen, das vollendete Gleichgewicht. Er glaubte beinahe, die Gegenwart des Mannes zu spüren, der ihn so lange und so wirkungsvoll geschwungen hatte.
Der junge Kierstaad wollte so sein wie Wulfgar. Er wollte den Stamm nach seiner eigenen Vision führen. Er hatte mit Wulfgars Kurs ebensowenig übereingestimmt wie jetzt mit dem von Berkthgar, aber es gab einen Weg in der Mitte, einen Kompromiß, der den Barbaren die Freiheit der alten Sitten und die Allianzen der neuen Lebensweise geben würde. Mit Aegisfang in den Händen fühlte sich Kierstaad, als könne er dies bewirken, als könne er die Kontrolle übernehmen und seine Leute auf den bestmöglichen Pfad leiten.
Der junge Barbar schüttelte den Kopf und lachte erneut. Er machte sich über sich selbst und seine großartigen Pläne lustig. Er war kaum mehr als ein Knabe, und es war nicht an ihm, Aegisfang zu schwingen. Dieser Gedanke veranlaßte den jungen Mann, über die Schulter zu der offenen Tür zu blicken. Falls Bruenor zurückkehrte und ihn hier mit dem Kriegshammer in den Händen fand, würde der wortkarge Zwerg ihn wahrscheinlich in Stücke reißen.
Es fiel Kierstaad nicht leicht, den Hammer wieder an seinen Platz zu hängen, und es fiel ihm noch schwerer, den Raum zu verlassen. Aber er hatte keine Wahl. Mit leeren Händen huschte er leise und vorsichtig durch die Tunnel, hinaus unter den offenen Himmel, und er rannte den ganzen Weg, über fünf Meilen durch die Tundra, zum Lager seines Stammes zurück.
* * *
Die Zwergin griff, so hoch sie konnte, und ihre kurzen Finger wischten den verkrusteten Schnee fort und packten verzweifelt den Fels. Der letzte Sims, die Pforte zum Gipfel, zum absoluten Gipfel.
Stumpet stöhnte und mühte sich ab. Sie wußte, daß dies ein unüberwindbares Hindernis war, daß sie ihre Grenzen überschritten hatte und dazu verdammt war, Tausende von Fuß hinab in den Tod zu stürzen.
Doch dann fand sie irgendwie genügend Kraft. Sie griff fest zu und zog sich mit aller Macht hoch. Kleine Beine traten und schabten gegen den Fels, und plötzlich war sie hinüber, auf dem flachen Plateau des Gipfels des höchsten Berges der ganzen Welt.
Die zähe Zwergin richtete sich auf diesem hohen Ort auf und ließ ihren Blick über die Landschaft schweifen, die unter ihr lag, über die Welt, die sie erobert hatte. Jetzt nahm sie die
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