Die vergessliche Mörderin
das Mädchen kann man eine Menge Namen finden. Er ist völlig weg von ihr. Ist Ihnen das auch aufgefallen?«
»Das ist unter diesen Umständen nicht verwunderlich.«
»Aber es gibt jemand, der sie nicht ausstehen kann: unsere liebe Mary nämlich.«
»Und sie, mag sie Mary Restarick vielleicht auch nicht?«
»Das also ist es?« David pfiff durch die Zähne. »Sonja hat was gegen Mary Restarick. Nehmen Sie etwa an, sie wollte an Ort und Stelle nach giftigen Pflanzenschutzmitteln fahnden? Das ist doch alles Quatsch… Na, jedenfalls schönen Dank fürs Mitnehmen. Ich möchte hier aussteigen.«
»So? Sie sind schon da? Wir haben noch gut zwölf Kilometer bis London.«
»Ich steig hier aus. Auf Wiedersehen, Monsieur Poirot.«
»Auf Wiedersehen.«
Mrs Oliver wanderte unruhig in ihrem Wohnzimmer auf und ab. Vor einer guten Stunde hatte sie ein fertig korrigiertes Manuskript verpackt. Ihr Verleger wartete schon ungeduldig darauf und hatte sie deshalb alle drei Tage gemahnt.
»Da haben Sie’s«, sagte Mrs Oliver zu einem unsichtbaren Verleger. »Da haben Sie’s, und hoffentlich gefällt’s Ihnen. Mir gefällt es nämlich nicht. Ich find’s unter aller Kritik. Außerdem glaub ich nicht, dass Sie beurteilen können, ob das, was ich schreibe, gut oder schlecht ist. Bitte, ich habe Sie gewarnt. Ich habe Ihnen gesagt, dass es schandbar ist. Und Sie haben geantwortet: ›Aber nein! Das nehme ich Ihnen einfach nicht ab.‹ Na, Sie werden’s ja sehen«, erklärte Mrs Oliver rachsüchtig. »Warten Sie’s nur ab.«
Sie rief nach dem Mädchen Edith, gab ihr das Päckchen und schickte sie damit zur Post.
»So, und was fange ich nun mit mir an?«, frage Mrs Oliver und begann, wieder umherzuwandern. »Ja«, murmelte sie, »ich könnte…« Sie ging zum Telefon.
»Ich werde nachsehen, Madam«, sagte George, der an den Apparat kam. Gleich darauf ertönte eine andere Stimme. »Hercule Poirot. Was steht zu Diensten, Madame?«
»Wo waren Sie? Sie waren den ganzen Tag nicht zu erreichen. Vermutlich bei den Restaricks, was? Waren Sie bei Sir Roderick? Was haben Sie rausbekommen?«
»Nichts«, antwortete Hercule Poirot.
»Wie langweilig!«
»Nein, ich finde das durchaus nicht langweilig. Es ist sogar erstaunlich, dass ich nichts herausbekommen habe.«
»Wieso erstaunlich? Das verstehe ich nicht.«
»Weil entweder nichts herauszubekommen ist«, erklärte Poirot, »und das, meine ich, passt nicht zu den Tatsachen, oder aber: Irgendetwas wird geschickt verheimlicht. Und das ist zumindest interessant. Übrigens wusste Mrs Restarick nicht, dass das Mädchen verschwunden ist.«
»Soll das heißen, dass sie nichts mit dem Verschwinden des Mädchens zu tun hat?«
»Es sieht so aus. Ich habe den jungen Mann dort getroffen.«
»Den, den sie alle nicht ausstehen können?«
»Ja, den unerfreulichen jungen Mann.«
»Finden Sie ihn auch unerfreulich?«
»Das Mädchen, das mich hier besucht hat, wäre bestimmt von ihm hingerissen.«
»Sah er schrecklich aus?«
»Er sah sehr schön aus«, sagte Hercule Poirot.
»Schön?«, wiederholte Mrs Oliver. »Ich hab von jeher was gegen schöne junge Männer.«
»Junge Mädchen aber nicht.«
»Da haben Sie Recht.«
»Übrigens scheint er nicht zu wissen, wo das Mädchen jetzt ist…«
»Vielleicht wollte er es nur nicht verraten.«
»Vielleicht. Aber warum ist er dort hingefahren? Er war im Haus. Er wollte nicht gesehen werden. Aus welchem Grund? Hat er nach dem Mädchen gesucht oder wonach sonst?«
»Sie meinen, er hätte etwas gesucht?«
»Ja. Im Zimmer des Mädchens.«
»Woher wissen Sie das? Haben Sie ihn dort entdeckt?«
»Nein. Als ich ihn sah, kam er die Treppe herunter. Aber in Normas Zimmer war eine noch feuchte Lehmspur, die zu seinen Schuhen passte. Vielleicht hat sie ihn hingeschickt, um etwas für sie zu holen. Es gibt viele Möglichkeiten. Im Haus ist noch ein junges Mädchen – ein sehr hübsches sogar. Vielleicht wollte er die treffen.«
»Was wollen Sie denn jetzt tun?«, fragte Mrs Oliver.
»Nichts.«
»Sie sind langweilig«, rügte sie ihn.
»Vielleicht erfahre ich etwas von den Leuten, die für mich Recherchen angestellt haben; aber es ist durchaus möglich, dass dabei nichts herausgekommen ist.«
»Ja, wollen Sie denn nichts unternehmen?«
»Erst wenn der richtige Zeitpunkt da ist.«
»Na, ich werde jedenfalls etwas tun«, erklärte Mrs Oliver.
»Seien Sie bloß vorsichtig«, warnte er.
»Ach, das ist doch Unsinn. Was soll mir schon
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