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Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
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zeigte er sich unsicher, trat einen Schritt zur Seite.
    »Meiner Mutter ist deine Anwesenheit sicher nicht recht«, bemerkte er nach kurzem Zögern.
    »Ich hatte auch nicht vor, sie zu besuchen.« Claire trat entschlossen durch den kurzen Flur in die Eingangshalle, sah sich flüchtig selbst in dem großen goldgerahmten Spie gel an der gegenüberliegenden Wand.
    »Johanne ist in ihrem Zimmer?«
    Wilhelm nickte. Er schien noch etwas sagen zu wollen. Seine Lippen bewegten sich, dann wandte er sich abrupt ab. Claire schaute ihm hinterher. Ich darf ihm nicht trauen, dachte sie, ich darf ihm keinesfalls trauen. Johanne hat mich gewarnt.
    Johanne war in ihrem Zimmer. Offenbar war sie gerade dabei, eine neue Rolle einzustudieren, denn sie lief auf und ab und deklamierte deutlich hörbar, blieb jedoch ste hen, als Claire die Tür öffnete.
    Als sie noch gemeinsam in diesem Haus gewohnt hatten, und Claire wusste in diesem Moment, dass diese Zeit vorbei war, hatten sie oft hier beisammengesessen. Während ihrer Schwangerschaft hatte Johanne ihr geholfen, die Ängste zu vertreiben. Der Gedanke an ihre Tochter zog Claire den Magen zusammen.
    Johanne kam ohne Umschweife auf sie zu und schloss sie in die Arme.
    Wenig später saßen sie an Johannes zierlichem Damenschreibtisch am Fenster, durch das an diesem Tag heller Sonnenschein fiel, und sprachen mit unterdrückten Stim men.
    »Ich habe noch nichts Neues herausfinden können«, flüsterte Johanne und fixierte die Freundin.
    »Sie können mir Friederike nicht abnehmen – oder etwa doch?« Claire rührte nervös in der Tasse Tee, die Johanne ihr hatte bringen lassen. Das weiße, weiche Brötchen hatte sie bisher nur zerpflückt, jedoch nichts davon gegessen. Sie ließ den Löffel fallen und streckte die Hand nach Johanne aus. Die wich dem Blick der Freundin aus.
    »Ich weiß nicht«, entgegnete sie zögerlich.
    »Dann laufe ich weg.«
    »Aber du kannst nicht schon wieder weglaufen«, Jo hanne machte eine unwirsche Handbewegung, »nicht mit einem kleinen Kind … Sie würden es niemals zulassen, Claire. Sie würden dieses Mal eine ganze Armada auf deine Fersen setzen. Es wäre eine Leichtigkeit, die Ehe aufzulösen. Dann würdest du alles verlieren. Alles. Du musst dich ihnen stellen.«
    »Aber es kann ihnen doch nichts an Friederike liegen, wenn sie sie für einen Bastard halten …?«, flüsterte Claire.
    Jetzt hatte sie das Wort zum ersten Mal ausgesprochen. Es fühlte sich sperrig in ihrem Mund an, sie konnte es nicht mit ihrem kleinen süßen Mädchen in Verbindung bringen.
    Johanne schüttelte den Kopf. »Aber meine Mutter würde nie zulassen, dass uns der Ruf anhängt, wir hätten ein kleines unschuldiges Kind auf die Straße gesetzt oder der Fürsorge überlassen. Nein, es ist nicht Friederike, die sie loswerden wollen, du bist es, Claire.«
    Claire, die ihren Teelöffel, ohne es zu bemerken, wieder aufgenommen hatte, ließ ihn erneut fallen. Das Klirren ließ die beiden jungen Frauen zusammenzucken.
    Nach einer Weile schob Claire die Teetasse zurück und stand auf.
    »Danke, Johanne. Ich … Ich muss jetzt gehen. Ich muss nachdenken.«
    »Soll ich dich zur Tür begleiten?«
    »Nein, das würde sie nur unnötig aufmerksam machen.«
    Als sie bereits in der Tür stand, drehte sie sich noch ein mal um.
    »Wirst du mir helfen, wenn ich dich darum bitte? Ganz gleich, was es ist?«
    Johanne zögerte nicht.
    »Natürlich«, sagte sie. »Ich bin immer auf deiner Seite.«
    Claire durchquerte gerade die Halle, als eine schmale, schwarz gekleidete Gestalt am Ende der Treppe auftauchte. Noras Stimme ließ ihre Schritte verharren.
    »Ich hatte Sie schon erwartet, Claire. Ich hatte schon er wartet, dass Sie die Unverfrorenheit besitzen würden, hier aufzutauchen.«
    Claire schwieg. Ein Tag kam ihr in den Sinn, als sie gefühlt hatte, sie müsse zur Salzsäule erstarren. Der erste Tag, an dem sie in einem Sportwagen mitgefahren war. Der erste Tag mit ihrer Schwiegermutter. Es war so viel passiert seitdem, und doch war eigentlich so wenig Zeit vergangen. Seltsamerweise war die Unsicherheit, die sie sonst Nora gegenüber verspürt hatte, wie weggeblasen. Sie trat bis an die unterste Treppenstufe heran und blickte ihrer Schwiegermutter ins Gesicht.
    »Guten Tag, Frau Neuberger, ich würde jetzt gerne meine Tochter sehen.«
    Für einen Moment bekam Noras Porzellangesicht Risse. Wut schien darin auf, Unbehagen, Gefühle, von denen Claire nicht geglaubt hatte, dass die Schwiegermutter sie

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