Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)
Kleidung in der Küche.
Ich weiß nicht, warum sie ihren Körper stets verhüllt, fragte Lea sich auf einmal, warum versteckt sie sich?
»Einen Espresso?«, fragte sie ihre Mutter laut.
»Gerne.«
Rike nahm das Tässchen entgegen, gab Zucker hinzu und nippte vorsichtig daran.
»Schläft sie noch?«, fragte Lea dann und nickte zu Claires Tür hin.
Rike zuckte die Achseln. »Ich habe das Radio gehört.«
Jetzt, da Rike es erwähnt hatte, fielen auch Lea die leisen Stimmen und die Musik aus Claires Zimmer auf. Im Bett begann sich Neele zu regen, und Lea nahm ihre Tochter auf den Arm, um sie zu stillen.
»Ich gehe jetzt eine Runde spazieren«, sagte sie, als die Kleine gesättigt war, wobei sie die letzten Worte einen Moment in der Luft hängen ließ. Rike nickte, bot jedoch nicht an, ihre Tochter zu begleiten.
Vielleicht müssen wir uns Zeit lassen, dachte Lea, ja, sicherlich müssen wir uns noch mehr Zeit lassen.
Sie packte Neele in die Babytrage, schnallte sie sich vor den Bauch, wo das Baby schon nach kurzem Protest wieder einschlief. Unten angekommen ging Lea ums Haus herum. Oben auf dem Balkon stand Claire und schaute zum Meer hinüber, hob die Hand, als sie die Enkelin bemerkte, und winkte ihr zu.
Gut eine Stunde lang lief Lea danach kreuz und quer durch die Stadt, die vielleicht auch einmal Gianlucas gewesen war. Sie bedauerte es, den Fotoapparat nicht mitgenommen zu haben. Hier gab es Farben und Details, die es wirklich wert waren, festgehalten zu werden. Die Farben wirkten satter und wärmer, als hätten sie über Jahrhun derte die Sonne getankt. Es war ein schöner Ort. Ob Gian luca ihn vermisst hatte?
Rike kaufte an diesem Tag Gorgonzola, Mozzarella, Parmaschinken und Salami beim Lebensmittelhändler, saftig rote Tomaten beim Obst- und Gemüsehändler und eine Auswahl an Nudeln im Laden mit der Aufschrift »Pasta fresca«. Abends gab es wieder frische Nudeln. Zur Abend unterhaltung las Rike ihnen aus dem Reiseführer vor, einem alten Baedeker. Es war fast wie im Urlaub.
Auch an den folgenden Morgen wachte Lea früh auf. Manchmal erwachte Neele kurz danach und verlangte ihre Milch. Manchmal schlief die Kleine einfach weiter. Überraschenderweise war ihr Haar bisher hell geblieben, wie es wohl auch Claires einst gewesen war.
Wo fangen wir an?, überlegte Lea und starrte die Notizen an, die sie sich in den letzten Tagen vor der Abreise noch gemacht hatte. Gianluca hatte eine kleine Kirche am Meer beschrieben, doch der Name des Ortes ließ sich nicht entziffern. Sollten sie versuchen, diese Kirche zu fin den? Aber wie sollte das gelingen?
D rittes Kapitel
Der kleine Laden war Rike schon am Tag ihres ersten Spaziergangs aufgefallen. Ein Andenkenladen, allerdings einer mit sehr liebevoll und individuell angefertigten Mit bringseln. Sie war kurz davor stehen geblieben, hatte die freundlich gestalteten Auslagen betrachtet und die offenbar handgemalten Postkarten.
Der Laden selbst war eher dunkel. Man konnte nicht wirklich nach drinnen blicken, allerdings hatte sie gemeint, ganz am Ende jemanden sitzen zu sehen. Vielleicht hatte sie sich aber auch geirrt. Wenn es draußen hell war, konnte man noch schlechter hineinsehen, doch jetzt trat mit einem Mal ein schmaler Mann vor die Tür. Rike zuckte zusammen.
»Buon giorno«, stotterte sie und fühlte sich seltsam ertappt.
Der Mann nickte ihr zu, entgegnete etwas, sprach aber so leise, dass sie kaum etwas hörte. Sie lenkte den Blick wieder auf die Auslagen, betrachtete filigrane Ketten, bunt bemalte Knöpfe aus Porzellan. Sie überlegte sich, ob sie sich eine solche Kette kaufen sollte, konnte sich aber nicht dazu durchringen.
Am nächsten Tag vermied Rike es, an dem Geschäft vorbeizugehen. Am späten Nachmittag fiel ihr ein altertümliches Café auf, an dem sie mehrfach vorüberging, bevor sie sich entschloss, es zu betreten. Sie bestellte einen Kaffee, etwas Milch und ein Stück Kuchen dazu, wobei ihr der Sprachkurs behilflich war, den sie vor Jahren einmal belegt hatte, um … Ja, um was nur? Sie war einmal nach Tirol gefahren. Italienisch hatte sie dafür nicht benötigt.
Rike goss Milch in ihren Kaffee und schaute zu, wie sich ein weißer Wirbel in die schwarze Flüssigkeit malte. Über Jahre hinweg hatte sie nur entkoffeinierten Kaffee getrunken, hier erschien ihr das auf einmal albern. Der süße Kuchen bildete genau den richtigen Kontrast zum bitteren Geschmack des Kaffees. Ein Duft nach Lavendel und anderen Kräutern lag nach dem letzten
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