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Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
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konnte.
    »Ja«, sagte Gianluca und küsste sie. »Wie könnte ich dir fernbleiben?«

S echstes Kapitel
    Die ganze Familie, Knechte und Mägde und auch die Tagelöhner hatten sich an diesem Tag im Hof versammelt, um der Aufstellung der neuen Statue beizuwohnen, die vorerst noch, unter einem großen Tuch verborgen, in der guten Stube wartete. Zu Beginn des Festes schon hatte der Vater das alte Figürchen entfernen lassen, das nun im allgemeinen Trubel vergessen neben der Eingangstreppe stand. Für eine Weile stand Helene daneben und ließ ihre Gedanken schweifen.
    So lange sie denken konnte, hatte diese kleine verwitterte Figur über dem Hauseingang gewartet. Sie hatte der Madonna »Adieu« zugeflüstert, wenn sie weggegangen war, und sie gegrüßt, wenn sie wieder nach Hause zurückgekehrt war. Sie hatte zugesehen, wie sie im Laufe der Jahre verwittert war, wie das Gesicht nach und nach verschwand, ebenso wie die Schrift, die vom Jahr ihrer Aufstellung erzählte, an das sich jedoch keiner mehr recht erinnern konnte. Jetzt, wo die alte Statue ersetzt werden sollte, fühlte Helene sich besonders verbunden mit ihr. Viele hatten die kleine Figur hässlich genannt, und Helene war es plötzlich, als hätten sie beide in ihrer Gewöhnlichkeit etwas gemein.
    Nachdem die Statue entfernt worden war, hatte man sich gemeinsam an den großen Tisch gesetzt, der zur Feier des Tages im Hof aufgestellt worden war. Es gab reichlich zu essen und zu trinken, dann wurde die Weinlese für dieses Jahr 1792 endgültig für beendet erklärt. Nach dem Essen spielten zwei Musiker auf. Neben etlichen Tanzpaaren hatten sich auch die Eltern bald ausgelassen im Kreis gedreht, als fühlten sie sich noch einmal jung, während Christoph abwechselnd mit seinen beiden Schwestern tanzte und Anton am Rand der Tanzfläche stand.
    Marianne sieht glücklich aus, dachte Helene jetzt und wich den Weissgerber-Mädchen aus, die ebenfalls juchzend und lachend umeinanderhüpften.
    Sie trat an Antons Seite und folgte seinem Blick. Seit er bei den Steins angekommen war, hatte er Marianne nicht einen Atemzug lang aus den Augen gelassen, und natürlich sah die Schwester wieder einmal sehr schön aus. Die warme Herbstsonne ließ ihr Haar glänzen. Ihre Wangen waren rosig. Zwar war nicht zu hören, worüber sie mit dem Bruder sprach, aber sie lachte oft, und auch Christoph schloss sich ihr mehrmals laut an. Helene wusste, dass zumindest er die Nachrichten vom Näherrücken der Franzosen mit Genugtuung verfolgte.
    »Christoph wollte heute eigentlich nach Mainz abreisen«, sagte Anton unvermittelt.
    »Wirklich?«
    Helene konnte nur noch mit einem Ohr hinhören. Auf der anderen Seite der Tanzfläche war Gianluca zwischen den anderen Knechten und Tagelöhnern aufgetaucht.
    »Du hast es vielleicht auch schon gehört«, sprach Anton weiter, ohne ihre Zerstreuung zu bemerken, »manche sagen, es kann nur noch Tage dauern, bis die Stadt von den Franzosen eingenommen wird.«
    Obwohl sie sich nur schwer von Gianlucas Anblick trennen konnte, musterte Helene den Freund aus Kindertagen nun verwundert. Politisches hatte er bisher nie mit ihr besprochen, und er schien sich dessen jetzt auch zu besinnen und lächelte unsicher.
    »Entschuldigung, du solltest dir um so etwas natürlich keine Gedanken machen müssen.«
    »Nein«, antwortete Helene langsam. Ein Gedanke kam ihr, ließ sich aber nicht ganz fassen. Eine Erinnerung an ein Gespräch, das sie vor Kurzem gehört hatte. Wieder suchten ihre Augen nach Gianluca, dann dachte sie an Karl und Melchior, deren Blicke sie schon mehr als einmal unbehaglich gestimmt hatten. Ja, das war das Wort, nach dem sie gesucht hatte: Die beiden riefen Unbehagen in ihr hervor.
    Einige Tänzer verließen die Tanzfläche wieder und stillten ihren Durst, ein paar aßen rasch noch etwas. Immer noch lachend stolperten Marianne und Christoph in Helenes und Antons Richtung.
    »Eine Pause«, kicherte Marianne außer Atem, »ich brauche dringend eine Pause.«
    Mit einer eleganten Handbewegung strich sie sich eine Haarsträhne aus der erhitzten Stirn. Hinter ihnen, zur Tür hin, wurde es plötzlich lauter.
    »Sie bringen die Statue«, rief jemand. »Sie bringen die Statue.«
    Helene drehte sich um. Marianne legte ihr den Arm um die Schultern. Der Vater hatte unterdessen eine Leiter aufgestellt. Der Priester wartete mit dem Weihwasser. Alle starrten zur Tür hin, wo der Vater jetzt, die Statue im Arm, erschien.
    Sie kam Helene kleiner vor als die alte. Sie war

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