Die verlorene Koenigin
fühlte sich unbeholfen und schwerfällig trotz der Mühe, die sich Edric und ihre Schwestern mit ihr gaben. Sobald Edric einen Ausfallschritt auf sie zumachte, konnte sie sich an keine der Regeln mehr erinnern, die sie gelernt hatte, sie stand nur da und schlug unkoordiniert mit dem Schwert um sich.
»Tania, du siehst aus, als ob du mit einer Fliegenklatsche hantieren würdest!«, rief Cordelia. »Du musst einen Ausfall starten, parieren und zum Gegenschlag ansetzen! Dabei kommt es auf Handgelenk und Füße an.«
»Das hilft mir auch nicht weiter!«, knurrte Tania. Aber wenigstens lachte Cordelia nicht, so wie Zara. Sancha hingegen schien zunehmend beunruhigt.
Cordelia sprang vom Tisch herunter und trat zu Tania.
»Das Geschickteste ist, von oben anzugreifen«, erklärte sie, hob Tanias Schwertarm und drehte ihr Handgelenk so, dass die Schwertspitze direkt auf Edrics Brust zeigte. »Um dich deinem Gegner zu nähern, führe den linken Fuß an den rechten heran und mach dann, so schwungvoll du kannst, einen Ausfallschritt gefolgt von einem geraden Stoß.«
»Gefolgt von was?«
»Wenn dein Gegner nach rechts ausweicht, ziel sofort auf den Kopf«, fuhr Cordelia fort, ohne auf ihre Zwischenfrage einzugehen. »Um dich gegen einen solchen Hieb zu verteidigen, gehst du in die Terzparade und hältst den Schwertarm etwa auf Hüfthöhe, um den kommenden Schlag abzufangen. Du schiebst das Schwert deines Feindes nach rechts, während du dich auf den Gegner zubewegst. Deine Schwertspitze zeigt dabei immer auf deinen Gegner, sodass er sich mit etwas Glück an deiner Klinge aufspießt.«
»Was ist eine Terzparade?«
»Die Prim- und Secondpositionen werden mit angehobenem Arm ausgeführt, wenn die Schwertspitze nach unten zeigt«, rief Zara. »Die Terz- und Quartpositionen erfordern dagegen einen gesenkten Arm, wenn das Schwert nach oben zeigt.
»Willst du eine Pause machen?«, bot Edric an.
»Kommt nicht infrage!«, sagte Tania. »Ich werde das schon hinkriegen. Noch mal von vorn! Führ den Stoß gegen meinen Kopf.«
Mit erhobenem Arm machte er einen Ausfallschritt auf sie zu. Seine Schwertspitze zeigte nach unten. Tania wich zurück, während sie ihren Schwertarm auf Hüfthöhe hielt und die Spitze nach unten ragte.
Sie bemühte sich, Cordelias Ratschläge genau zu befolgen: Sie sprang unvermutet auf ihn zu, schwang ihr Schwert von oben gegen die Seite seiner Klinge und versuchte, seinen Schlag zu parieren. Doch sie hatte Edrics Geschwindigkeit und Kraft unterschätzt. Ihr Schwert glitt an dem seinen ab und sie stießen zusammen. Als seine Klinge in ihre Haut schnitt, spürte sie einen heftigen Schmerz am Handgelenk.
Tania reagierte instinktiv: Sie wirbelte ihr Schwert herum und wehrte seine Klinge ab, indem sie sie in einem sauberen Bogen nach rechts führte. Blitzschnell trat sie mit dem rechten Bein einen großen Schritt zur Seite und verlagerte das Gewicht, um in die Nähe seiner ungeschützten linken Seite zu kommen. Sie machte einen Ausfallschritt und stieß das Schwert kräftig von unten in Richtung Magengegend, wohl wissend, dass die hochschießende Klinge sich unter seine Rippen schieben und sein Herz durchbohren würde. Als ihre Schwertspitze nur noch einen Zentimeter von seinem Körper entfernt war, hielt sie mit vollendeter Präzision inne. Noch ehe er reagieren konnte, hatte sie einen gut ausbalancierten Satz nach hinten gemacht und war souverän zum Stehen gekommen.
»Volltreffer!«, rief Cordelia und klatschte laut Beifall. »Mitten ins Herz!«
Edric grinste sie an. »Erstaunlich«, bemerkte er. »Ich bin tot und hab’s nicht mal kommen sehen.«
»Deine alten Fähigkeiten sind zurückgekehrt«, sagte Sancha, die jetzt ebenfalls lächelte. »Fabelhaft.«
Entsetzt bemerkte Edric die Verletzung an Tanias Handgelenk. »Du blutest.«
»Ach, nur ein Kratzer«, sagte Tania. »Und es hat geholfen.« Es war, als hätte man eine lange verschlossene Tür in ihrem Hinterkopf geöffnet. Und siehe da: Sie konnte doch noch mit einem Kristallschwert kämpfen! Sie erinnerte sich, wie man angriff und sich verteidigte. Dieses Wissen war im kurzen Augenblick des Schmerzes zurückgekehrt. Nun blieb nur noch eine einzige Frage. Die aber musste sie mit sich selbst klären: Wenn es zu einem Kampf auf Leben und Tod zwischen ihr und einem der Grauen Ritter käme, wäre sie dann wirklich in der Lage, ihm mit dem Schwert die Brust zu durchstoßen? Konnte sie jemanden töten, wenn ihr eigenes Leben in Gefahr war?
Wenig
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