Die Verlorene Kolonie
lange mit einem Jungen geredet. Eigentlich noch nie. Aber ich muss dieses Projekt zu Ende bringen. Kannst du mich in sechs Wochen noch mal anrufen?«
»In sechs Wochen ist es zu spät. Bis dahin wird die Welt sich verändert haben, und wahrscheinlich nicht zum Besseren.«
»Hör auf, Artemis. Ich fing gerade an, dich zu mögen, und jetzt sind wir wieder da, wo wir am Anfang waren.«
»Gib mir noch eine Minute«, drängte Artemis. »Wenn ich dich in der Zeit nicht überzeugen kann, lege ich auf und überlasse dich deinen Forschungen.«
»Neunundfünfzig«, sagte Minerva. »Achtundfünfzig...«
Artemis fragte sich, ob alle Mädchen so launisch waren. Holly konnte auch so sein. Im einen Moment herzlich, im nächsten eiskalt.
»Du hältst zwei Wesen gefangen. Beide zu Empfindungen fähig. Keines davon menschlich. Wenn du auch nur eines von ihnen der wissenschaftlichen Öffentlichkeit präsentierst, wird ihr ganzes Volk gejagt werden. Du wirst für die Vernichtung mindestens einer Spezies verantwortlich sein. Willst du das wirklich?«
»Aber sie wollen doch uns vernichten«, gab Minerva zurück. »Der Erste, den wir gerettet haben, hat gedroht, uns alle umzubringen und womöglich zu fressen. Er hat gesagt, die Dämonen würden zurückkehren und die Plage Mensch ausrotten.«
»Ich weiß alles über Abbot«, sagte Artemis und stützte sich dabei auf die Informationen, die ihm Minervas Überwachungskameras geliefert hatten. »Er war ein Dinosaurier. Heutzutage könnten die Dämonen nichts mehr gegen die Menschen ausrichten. Nach meinen Berechnungen muss Abbot zehntausend Jahre in die Zukunft katapultiert und dann wieder zurückgesogen worden sein. Den Dämonen den Krieg zu erklären wäre, als wollte man den Affen den Krieg erklären. Genau genommen wären die Affen sogar eine noch größere Bedrohung, weil es mehr von ihnen gibt. Außerdem können die Dämonen gar nicht richtig hier erscheinen, es sei denn, wir pumpen sie mit Silber voll.«
»Ich bin sicher, dass ihnen dazu etwas einfällt. Oder einer landet durch Zufall hier wie Abbot und holt die anderen nach.«
»Höchst unwahrscheinlich. Im Ernst, Minerva, wie groß sind die Chancen dafür?«
»Artemis Fowl will also, dass ich mein Nobelpreisprojekt einfach abhake und die gefangenen Dämonen freilasse.«
»Ja, das mit dem Nobelpreisprojekt auf jeden Fall«, sagte Artemis und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Aber ich glaube nicht, dass es notwendig ist, die Gefangenen freizulassen.«
»Ach ja? Und wieso?«
»Weil sie bereits verschwunden sein dürften.«
Minerva fuhr herum und starrte auf die Stelle, wo Nr. 1 eben noch gesessen hatte. Sie war leer: Ihr gefangener Dämon war mitsamt dem Stuhl verschwunden. Ein kurzer Blick durch den Raum bestätigte ihr, dass sie allein war.
»Wo ist er, Artemis?«, kreischte sie ins Telefon. »Wo ist mein Dämon?«
»Vergiss das Ganze«, sagte Artemis sanft. »Es lohnt sich nicht. Ich weiß, wovon ich rede, ich habe dieselben Fehler gemacht. Ich melde mich bald wieder.«
Minerva umkrallte den Telefonhörer, als wäre er Artemis' Hals. »Du hast mich reingelegt!«, fauchte sie, als ihr plötzlich die Wahrheit dämmerte. »Du wolltest , dass ich deinen Dämon fange!«
Doch Artemis antwortete nicht. Er hatte widerstrebend seine Hand geschlossen und das Gespräch beendet. Normalerweise verspürte er immer ein angenehmes, warmes Kribbeln, wenn er jemanden ausgetrickst hatte, aber in diesem Moment kam er sich richtig mies vor. Was für eine Ironie: Jetzt, wo er beinahe zu den Guten gehörte, fühlte er sich wie ein Bösewicht.
Butler, der neben ihm auf der Hügelkuppe lag, betrachtete ihn von der Seite. »Na, wie ist es gelaufen?«, fragte er. »Ihr erstes längeres Gespräch mit einem Mädchen Ihres Alters?«
»Fantastisch«, erwiderte Artemis sarkastisch. »Im Juni wollen wir heiraten.«
Kapitel 9
Explosive Mischung
Château Paradizo.
Als Holly Short die Tür ihrer improvisierten Kellerzelle öffnete, hüpfte der Helm vor ihr auf der Stelle, und vom Visier grinste ihr ein dreidimensionales Bild von Foalys Gesicht entgegen.
»Das ist echt gruselig«, sagte sie. »Kannst du mir nicht einfach eine Textnachricht schicken?«
Foaly hatte ein 3-D-Hilfe-Icon auf Hollys Helmcomputer installiert, und es überraschte Holly nicht im Geringsten, dass er dem Icon die eigenen Züge gegeben hatte.
»Ich habe abgenommen, seit dieses Modell gebaut wurde«, sagte Foalys Bild nun. »Ich jogge nämlich. Jeden
Weitere Kostenlose Bücher