Die Vermessung der Lust (German Edition)
gelacht.
»Mit Ihnen? Sie sind viel jünger als ich. Sie arbeiten bei mir. Ich trenne immer Privates von Beruflichem.«
Das war ihr eben so eingefallen, sie hatte sich vorher nie darüber Gedanken gemacht, es gab auch nie einen Grund, sich damit zu beschäftigen.
Er zog den Rotz hoch. Weinte er etwa? »Sie sind ein erwachsener Mensch«, sagte er jetzt völlig überflüssigerweise. Natürlich war sie das. Und sie hatte das Recht, für ein paar Stunden das Gehirn auszuschalten.
»Ein Experiment«, sagte sie. »Glauben Sie das oder glauben Sie das nicht. Ich wollte wissen, wie... Okay, ich wollte auch Sex. Einfach nur Sex. Wollen Sie Einzelheiten wissen? Soll ich erzählen? Ich habe damit kein Problem. Sie? Betrachten Sie es als etwas rein Berufliches.«
Er antwortete nicht. Aber sie hatte wirklich das Bedürfnis, ihm davon zu erzählen, alle schmutzigen Details.
»Ja«, sagte er schließlich und sie merkte ihm an, dass ihn diese Antwort am meisten überraschte. »Sie wollen mich damit geil machen, stimmts? Sie wollen, dass ich meine Hose öffne und...«
Das hätte er nicht sagen sollen. Daran hatte sie wirklich nicht gedacht. Aber der Gedanke erregte sie irgendwie.
»Würden Sie das denn tun?«, fragte sie. Er zögerte mit der Antwort. Sie sah zu ihm hin. Hatte er genickt? Sie zuckte mit den Schultern und begann zu erzählen.
*
Glück gehabt, gerade noch den letzten Bus erwischt. Außer einem Pärchen, das sich auf der Hinterbank ableckte, war Simone die einzige Passagierin. Sie lehnte den Kopf gegen das Fenster, bloß nicht einschlafen jetzt. Sie kämpfte gegen die Müdigkeit, es war nicht schwer, in ihr war alles aufgewühlt. Die Bilder der Professorin im Höschen, wie sie sich vor dem Geschlecht dieses ekelhaften Typen niederkniete, wie sie... Plötzlich war sie hellwach, würgte. Mein Gott, bloß nicht den Bus vollkotzen!
Ob sie Dora davon erzählen sollte? Warum? Warum eigentlich nicht? Sie hätten dann ein gemeinsames Geheimnis und, wer weiß, vielleicht konnte es Dora von Nutzen sein? Nein, keine Erpressung, das würde sie niemals machen. Trotzdem. Ein paar Andeutungen, wenn es sein musste.
Schaff die Bilder aus dem Kopf, befahl sie sich, beschaff dir andere. Denk an morgen Abend, denk an SIE. Ihr werdet im Bett landen, das ist so sicher wie... Schiffler impotent ist. Sie kicherte. Genau. Der Alte musste impotent sein, ein weiche Nudel haben, wie Franzi einmal gesagt hatte, als sie über ältere Männer redeten, mit denen Franzi ja einige Erfahrungen besaß. Nein, das mochte sie sich lieber auch nicht vorstellen. Schiffler mit weicher Nudel.
Noch zehn Minuten, dann wäre sie endlich daheim und würde nicht schlafen können, das war ihr jetzt schon klar. Der Stadtpark mit seinen Hecken, sie ging nicht gerne spazieren. Vor dem Eingang standen zwei Autos, Liebespärchen wie das da hinten, die kein Dach über dem Kopf für ihre Vergnügungen hatten.
Nein, oh nein. Die Autos kannte sie beide. Das musste ein schrecklicher Albtraum sein, alles, was sie heute Abend erlebt hatte, gehörte nicht zu Wirklichkeit. Sie war total verknallt, ihr Verstand befand sich in einem rauschähnlichen Zustand, sie hatte Visionen, sah Gespenster, sie halluzinierte, delirierte... und drückte im letzten Augenblick auf den Knopf, gab das Haltesignal. Der Fahrer schaute verdrießlich in den Spiegel und bremste ab.
*
Lars war so erregt wie noch nie sonst in seinem Leben, aber er beherrschte sich. Mein Gott, was eine Hose alles aushalten konnte! Das Kino in seinem Kopf flippte aus, die Bilder erschienen wie nervöse Werbeclips, obwohl Madeleine Vulpius sachlich und mit ruhiger Stimme erzählte, was ihr in Bergengruens Wohnung widerfahren war.
»Anfangs wollte ich wieder gehen, wissen Sie? Dieser Mann... furchtbar. Aber seine Stimme hat etwas, sie ist der Schlüssel zu allem. Das haben wir bei all unseren Forschungen nicht berücksichtigt, die Stimme, verstehen Sie? Das sollten wir nachholen. Erinnern Sie mich morgen früh daran, dass wir uns zusammensetzen und noch einmal alle Kriterien durchgehen und nötigenfalls modifizieren?«
Er nickte. Ja, war auch seine Meinung. Die Versuchsanordnung erschien ihm schon seit längerer Zeit zu einseitig, zu wenig flexibel.
»Der entscheidende Moment war, als er mich aufforderte, neben ihm Platz zu nehmen«, erzählte Madeleine weiter. »Seine Stimme schon wieder. Und die Art, wie er mit der Handfläche auf die Couch neben sich schlug, als würde er einen Hund oder eine Katze
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