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Die verschollene Karawane

Titel: Die verschollene Karawane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ackermann
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suchten. Prostitution war in Äthiopien gang und gäbe. Wo Armut herrscht, verkauft jeder, was er noch hat: Körper und Seele, Stolz und Selbstachtung. Aber wenn dann ein Kunde oder gar ein Tourist mit derart üblen Methoden nach der Polizei rief, kam die auch. Und das endete stets übel für die Mädchen. Die Polizisten nahmen ihnen alles Geld weg, sperrten sie ein – und missbrauchten sie in der Arrestzelle. Polizisten waren, wie viele Staatsbeamte in Äthiopien, korrupte Despoten.
    Hwotash Negash versank in tiefe Nachdenklichkeit. Seit drei Jahren hatte sie keinen Job mehr. Doch sie hatte ein Kind, das sehr krank war und Medizin brauchte. Notgedrungen verkaufte sie ihren Körper. Sie war sehr hübsch. Die Männer aus Europa und Amerika mochten ihre kecken, blond gefärbten Rastalocken, die ihr bis zum Po gingen. Und sie hatte sehr schöne, große Augen. Die Natur hatte ihr von allem, was Männer mögen, viel gegeben. Und sie war jung. Übermorgen würde sie 18 werden. Ein Tourist, eine schnelle Nummer, und eine kleine Geburtstagsfeier wäre gesichert. Aber danach sah es nicht aus. In den letzten beiden Jahren war es ohnehin immer schwieriger geworden. Der Schöpfer hatte sich ein bizarres System ausgedacht, um das von Kriegen und Dürren heimgesuchte äthiopische Volk zu schinden. Regnete es nicht, verdorrten erst die Felder, dann starben Kühe, Ziegen und Schafe und schließlich die Menschen. Da das weltweit in den Zeitungen stand, kamen keine Touristen mehr, weil sie aus Pietät nicht in einem Land Urlaub machen wollten, in dem die Hungernden auf den Straßen lagen. Wodurch dann ein, zwei Jahre später noch mehr Menschen hungerten, weil die Hotels leer blieben und die Angestellten in ihre Dörfer zurückgeschickt werden mussten. Dorthin, wo der größte Hunger herrschte. Es war ein zynischer Kreislauf. Auch sie litt darunter. Über eine Stunde war sie heute vergeblich draußen auf der Terrasse mit dem herrlichen Blick über den See auf und ab gegangen. Nichts war gelaufen. Nur der Oberkellner hatte gefragt, ob er sie mal bumsen dürfe. Sie hatte ihn gelassen, weil er der Sohn des Hoteldirektors war und das Hotel einer staatlichen Gesellschaft gehörte und sie vom Stillschweigen des Hotelmanagements abhängig war.
    Die Saison fing gerade erst an. Es sah nicht viel versprechend aus. Immer weniger Besucher kamen an den Tanasee, um die Quellen des Weißen Nils oder die uralten Klöster auf den Inseln zu sehen. Missmutig stand sie auf und verließ durch den Hintereingang das Hotel. Im Garten war es stockdunkel. Sie hoffte nur, dass ihr keine Polizisten begegneten, die Tribut für etwas einfordern würden, was sie heute nicht getan hatte. Wenn sie Pech hatte, war es eine Streife mit drei oder gar vier Polizisten.
    Plötzlich schrak sie aus ihren Gedanken hoch. Aus dem Schatten eines Kasuarine-Baumes trat ein Mann hervor. Der vagen Hoffnung, es sei ein Tourist, folgte die große Enttäuschung. Es war ein Priester. Im Halbschatten sah er in seinem schwarzen Anzug mit dem weißen Stehkragen gut aus. Er war höchstens Mitte 40, hatte ein sehr markantes Gesicht mit einer auffallend schmalen Nase und rauchte eine Zigarette. Der Mann sah wie ein Araber aus. Seltsam, dachte sie. Ein Araber in einem christlichen Priestergewand! Priester und Mönche aus fernen Ländern waren hier zwar nichts Ungewöhnliches. Die Relikte des frühen Christentum, des einstigen Aksums und Abessiniens, bescherten dem Land viele heilige Kirchenmänner. Aber ein Araber, der sie zudem noch so gierig anschaute? Sie kannte diesen taxierenden Blick. Alle Männer, die Sex von ihr wollten, starrten so schamlos auf ihren üppigen Busen. Es irritierte sie, dass ein Priester es tat. Egal, dachte sie, auch Priester sind Männer.
    Der Mann kam direkt auf sie zu. Sie spürte, was er wollte. Und sie signalisierte, dass sie bereit war zu geben, was er suchte.
    »Hallo, junge Frau«, murmelte er in Englisch. Er hatte einen eigentümlichen Akzent. »Ist wohl niemand mehr hier, mit dem ich ein wenig plaudern kann. Alle schon brav im Bett.«
    Sie lächelte kokett zurück, damit der Mann verstand, dass er nicht mehr um den heißen Brei reden musste.
    »Bist du hier aus der Gegend?«
    Erst in dem Moment bemerkte sie, dass er ein Kreuz auf der Stirn eintätowiert hatte. Die Haut dort war eigentümlich hell.
    »Ja, ich bin aus Forae Jesus, am Westufer des Tanasees. Ein kleines Dorf.«
    »Ein schöner Name für ein Dorf in Äthiopien: Marktplatz Jesu – oder so ähnlich

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