Die verschollene Karawane
getötet oder mussten konvertieren. Das einst so mächtige christliche äthiopische Reich hörte beinahe auf zu existieren!«
Peter sah Jahzara an, dass sie am liebsten geweint hätte. Die traurigen Fakten um den Untergang eines so mächtigen Reiches gläubiger Christen, Christen aus ihrer Heimat, gingen ihr sehr nahe. Er stand auf und schritt nachdenklich auf und ab. Jahzara starrte über die Sierra auf das am Horizont schimmernde Meer. Langsam ging er zu ihr und legte von hinten beide Hände auf ihre Schultern.
Sie versuchte, ihr Schluchzen zu unterdrücken, während sie kaum hörbar flüsterte: »Ich habe doch gesagt, don’t touch my body, don’t touch my soul.«
Peter überlegte nur kurz. Er entschied, seine Hände auf ihren Schultern zu lassen.
Sie wehrte sich nicht dagegen. Ohne ihren Kopf zu wenden, murmelte sie: »Im Sion -Dossier gibt es eine Seite, die ahnen lässt, was damals wirklich geschah. Da aus Europa keine Hilfe kam, entschied der äthiopische Herrscher – oder auch Kaiserin Eleni –, dass die Prinzessin Sahel und der portugiesische Edelmann auf dem Landwege quer durch die Sahara zur westafrikanischen Küste fliehen sollten. In einem Bittbrief an den Papst wurde darum ersucht, portugiesische Schiffe an einen kleinen Ort namens Tendaba an der westafrikanischen Küste zu schicken. Das war eine Karawanenstation 150 Kilometer flussaufwärts des Gambia-Stroms. Dort, so hofften die Prinzessin und ihr Mann, würde man mit den portugiesischen Karavellen zusammentreffen. Aber die Karawane verschwand für immer in der Wüste, im Meer der Finsternis, wie es auf der Karte heißt. Viel schlimmer noch! Der unbekannte Autor schreibt, Prinzessin Sahel hätte Lissabon ohnehin nie erreicht. Rom und Madrid hatten den Hilferuf aus Äthiopien nämlich nicht nach Lissabon weitergeleitet. Stattdessen warteten gedungene Mörder in Gambia auf das Brautpaar und auf den Staatsschatz. Der Plan der Portugiesen wäre so oder so gescheitert. Grausig, diese Vorstellung! Aber so steht es in dem Buch.«
Beide schwiegen lange Zeit.
Jahzara hatte zwischenzeitlich ihren Laptop eingeschaltet. Plötzlich richtete sie sich auf. »Großartig! Ich habe Internetverbindung. Endlich!« Aufgeregt tippte sie in die Tasten. »Ist irrsinnig langsam das Ding. Und mein Virenschutzprogramm scheint auch nicht zu funktionieren.« Sie rief ihre Mailbox auf. »Perfekt. Die Antwort meines Vaters. Er hat einige Leute in Äthiopien kontaktiert, die mir sehr helfen können.« Ihr Blick wanderte zu Peter.
Er kam ihrer Frage zuvor: »Prinzessin, du kannst ihm ruhig schreiben, dass ich mitkommen werde. Ich war noch nie in Äthiopien. Schreib ihm, dass ein Gentleman dich begleiten wird. Ein Freund, der herausfinden will, wer der mystische Priesterkönig Johannes war. Schreib ihm das! Und dann möchte ich bitte auch zwei kurze Mails schreiben. Meine Kündigung – und ein paar Zeilen an Yvonne.«
10.
H wotash Negash war enttäuscht. In der Hotellobby saß niemand mehr. Die Bar im Erdgeschoss war ebenfalls gähnend leer. Die wenigen Touristen, die zum Abendessen gekommen waren, hatten sich bereits auf ihre Zimmer zurückgezogen. Sie kamen ohnehin nicht in Betracht, denn es waren vornehmlich ältere Paare. Die drei alleinstehenden Männer der Reisegruppe waren ihr zu alt. Wie es aussah, würde sie an diesem Abend ohne einen Dollar in der Tasche nach Hause gehen. Die Situation beunruhigte sie. Seit drei Tagen lief hier absolut nichts. Und im Gihon- Hotel hatte sie Hausverbot. Ein Kunde, ein fetter Amerikaner mit einem Pockennarbengesicht, hatte sie dort vor einer Woche reingelegt. Erst hatte er sie auf seinem Zimmer zwei Stunden lang mit unglaublich perversen Praktiken gedemütigt. Für 100 Dollar hatte sie es über sich ergehen lassen. Das war nun mal ihr Job. Als sie dann das Zimmer verlassen hatte und gerade am Sicherheitsbeamten des Hotels vorbeigehen wollte, war der Dicke angerannt gekommen und hatte dem Sicherheitsmann gesagt, er vermisse 100 Dollar. Wenn die junge Reiseleiterin, mit der er sich im Zimmer über seine Reisepläne am Tanasee unterhalten habe, das Geld freiwillig zurückgäbe, würde er auf die Einschaltung der Polizei verzichten. Reiseleiterin hatte dieser Scheißkerl sie genannt! Als Hure hatte er sie mit aufs Zimmer genommen, sonst nichts. Aber was war ihr anderes übriggeblieben, als das Geld rauszurücken?
Kein Polizist, kein Hotelangestellter störte sich normalerweise daran, dass Prostituierte in der Lobby ihre Freier
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