Die Verschwörer von Kalare
Bescheid gewusst?«
»Natürlich.«
»Und warum hat er nichts unternommen?«, wollte Tavi wissen.
»Gracchus mag zwar nicht gerade geschickt sein, wenn es darum geht, Gelder zu veruntreuen, aber er ist ein sehr guter Nachschuboffizier. Wir brauchen ihn. Hätte der Hauptmann eine Untersuchung angeordnet, hätte das an Gracchus’ Ehre gerührt, seine Laufbahn beendet und seinen Abschied aus der Legion unausweichlich gemacht, und zwar wegen eines Schmuckstücks und einem Paar neuer Stiefel.«
Tavi verzog das Gesicht. »Der Hauptmann lässt es ihm also durchgehen?«
»Cyril ist kein Gesandter, Tavi, sondern Soldat. Und er hat die Aufgabe, diese Legion aufzubauen und zu einer starken Streitmacht zu schmieden. Wenn er deswegen über die eine oder andere Unbedachtheit seiner Offiziere hinwegsehen muss, ist er bereit, diesen Preis zu zahlen.«
»Selbst wenn die Legionares kleinere Rationen erhalten?«
Magnus lächelte. »Sie haben keine kleineren Rationen bekommen. Die Becher wurden ersetzt, und das Problem hat sich damit erledigt.«
»Der Erste Speer.« Tavi seufzte. »Der Hauptmann hat ihn zu mir geschickt.«
»Nein, ganz bestimmt nicht«, meinte Magnus und lächelte noch breiter. »Obwohl ich da vielleicht einige seiner Bemerkungen falsch verstanden haben könnte und diese falsch verstandenen Bemerkungen an Valiar Marcus weitergegeben habe.«
Tavi schnaubte und dachte kurz darüber nach. »Er hat mich auf die Probe gestellt«, sagte er schließlich. »Er wollte sehen, wie ich reagieren würde.«
»Viele Männer hätten Gracchus erpresst und sich ihren Anteil genommen«, erklärte Magnus. »Jetzt weiß der Hauptmann, dass du ehrlich bist. Gracchus’ Gier hat er ebenfalls im Griff. Die Legionares bekommen ihre vollen Rationen, und die Legion hat immer noch ihren Tribun Logistica. Am Ende haben alle gewonnen.«
»Außer mir«, seufzte Tavi. »Ab morgen wird mich Gracchus einen Monat lang in die Latrinen schicken.«
»Willkommen in der Legion«, meinte Magnus. »Ich würde vorschlagen, du betrachtest es als unvermeidliche Erfahrung.«
Tavi verzog finster das Gesicht.
Sie gingen zum Westtor hinaus, und zwei Fische, die mit Übungswaffen Wache hielten, salutierten übermäßig zackig. Ein paar hundert Schritte vor dem Tor erstreckte sich ein weiter Platz, der mit Elementarkraft in eine vollkommen plane Fläche verwandelt worden war. Eine breite Steinstraße umringte das Feld in einem Oval - ein Übungsbereich für die Straße, der ebenso angelegt war wie die Dammwege, die das Reich durchzogen.
Vier komplette Kohorten Rekruten übten sich auf diesem Stück Straße im Eilmarsch. Wenn man die Elementare, die in die Reichsstraßen eingebaut waren, richtig zum Einsatz brachte, konnte der Reisende über Stunden den Laufschritt durchhalten, ohne sich dabei mehr anzustrengen als beim normalen Gehen. Die Rekruten waren größtenteils ungeübt im Umgang mit der Straße, und statt ordentlichen Reihen glich ihre Formation eher einem Kometen - ein fester Kern führte vorneweg, und dahinter zog sich ein langer Schweif mit den langsamsten und müdesten Männern am Ende.
Auf dem Platz drillten Zenturionen Rekruten im Umgang mit Waffen, manche übten auch mit den Stahlschilden der richtigen Legionares und lernten die Grundlagen des Metallwirkens, und zwar in diesem Falle, wie man die Schilde verstärkte und gegen Treffer härtete. Wieder andere saßen in lockerem Kreis um ihren Ausbilder, der ihnen zeigte, auf welche Weise man die Rüstung anlegte und pflegte, wie man die Waffen behandelte und hundert Kleinigkeiten im Alltag in der Legion erledigte.
Tavi und Magnus warteten, bis eine der kometenförmigen Fischkohorten donnernd vorbeigetrabt war, dann gingen sie hinüber zu einer aus Holz errichteten Beobachtungsplattform ungefähr in der Mitte des Platzes. An diesem Turm wurde auch Wasser an durstige Rekruten ausgegeben, und man kümmerte sich um diejenigen, die vor Erschöpfung zusammengebrochen waren
oder bei den Waffenübungen eine mit Verletzungen verbundene schmerzhafte Lektion erteilt bekommen hatten.
Hauptmann Cyril stand auf der Plattform, und die Sonne glänzte auf seiner Rüstung und seiner Glatze. Er lehnte am Geländer und unterhielt sich leise mit dem Tribun Cadius Hadrian, einem kleinen schlanken Mann in der leichten Rüstung und der waldfarbenen Kleidung eines Kundschafters. Hadrian zeigte auf die laufenden Neulinge hinten auf der Strecke und flüsterte dem Hauptmann etwas zu. Dann deutete er auf eine
Weitere Kostenlose Bücher