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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ihre Blicke, die von Jahren des gemeinsamen Verstehens zeugten, ihr gelegentliches Lachen, die Art, wie sie ihren Mann mahnte, auf seine Gesundheit zu achten, die Sanftheit, mit der er sie berührte, Pitt nachdrücklich an seine Einsamkeit.
    Gegen Ende der ersten Woche überwältigte ihn eine andere Empfindung so sehr, dass sein Kopf schmerzte und sein Magen sich zusammenzog.
    Er hatte das Angebot angenommen, in der Werkstatt des
Seidenwebers Saul zu arbeiten. Dazu waren keine speziellen Fähigkeiten erforderlich. Von ihm wurde erwartet, dass er Kisten und Ballen schleppte, den Boden fegte, Dinge holte oder brachte und Botendienste leistete. Es war die anspruchsloseste Aufgabe in der Werkstatt, und entsprechend gering war die Bezahlung, aber eine solche Arbeit war besser als nichts und körperlich vermutlich immer noch leichter als eine in der Zuckersiederei. Außerdem bot sie ihm weit mehr Möglichkeiten, sich auf der Straße umzuhören und umzusehen, ohne Aufsehen zu erregen. Allerdings war ihm nicht klar, welchen Sinn das haben sollte. Immerhin zeigte die Festnahme der Anarchisten Nicoll und Mowbray, dass die Männer des Sicherheitsdienstes ihre Aufgabe durchaus verstanden und keinesfalls auf die Unterstützung von Außenseitern wie Pitt angewiesen waren.
    Als er an jenem Abend in seine Unterkunft zurückkehrte, in der er sich nach wie vor nicht wirklich zu Hause fühlte, ertönten vor ihm laute Stimmen. Unverkennbar wurde gestritten, und schon nach wenigen Augenblicken fiel etwas klirrend zu Boden. Vermutlich war eine Flasche zu Bruch gegangen. Darauf folgten ein Schmerzenslaut und eine Schimpfkanonade. Eine Frau kreischte.
    Pitt begann zu rennen.
    Das Gebrüll ging weiter, dann hörte man, wie Fässer zu Boden stürzten. Ein Wutschrei übertönte den allgemeinen Lärm.
    Als Pitt um die Ecke bog, sah er etwa zwei Dutzend Menschen, die zum Teil durch ein Fuhrwerk verdeckt waren, dessen hintere Ladeklappe sich gelöst hatte. Während über die Fahrbahn rollende Fässer den Verkehr in beide Richtungen behinderten, prügelten Männer aufeinander ein. Pitt sah, dass einige Fässer auch zerbrochen waren und ihr Inhalt sich auf die Straße ergossen hatte.
    Leute kamen aus Läden und Werkstätten, und mindestens die Hälfte von ihnen griff in die allgemeine Schlägerei ein. Frauen standen daneben und feuerten die Kampfhähne an. Eine bückte sich, hob einen losen Pflasterstein auf und schleuderte ihn so heftig, dass ihre zerfetzten braunen Röcke wehten.
    »Hau ab, alte Katholensau«, schrie sie einer anderen Zuschauerin zu. »Verzieh dich nach Irland, wo du hingehörst.«
    »Ich bin nich irischer wie du, verdammte Heidin!«, keifte die andere zurück und drosch mit einem Besenstiel so kräftig auf ihre Gegnerin ein, dass er auf deren Rücken zerbrach und sie durch den Aufprall in die Gosse geschleudert wurde, wo sie eine Weile nach Luft schnappend sitzen blieb. Dann raffte sie sich auf und fluchte gotteslästerlich.
    »Papistin«, ertönte es woanders. »Hure!«
    Mit aller Kraft Beleidigungen hervorstoßend, stürzte sich ein weiteres halbes Dutzend Männer und Frauen in die Menge. Schmuddelige Kinder hüpften begeistert auf und ab und feuerten diejenigen in der Menge an, die ihnen sympathisch waren.
    Nach einer Weile ertönte das Schrillen einer Polizeipfeife, und schon bald näherten sich schwere Schritte.
    Pitt fuhr herum. Es war nicht seine Aufgabe einzugreifen, selbst wenn er dazu imstande gewesen wäre. Als er sah, dass ein Polizeibeamter auf die Streithähne zueilte, tat er einen Schritt zurück in den Eingang zum Hof eines Steinmetzen. Von ihm wurde erwartet, dass er beobachtete. Allerdings war Pitt nicht der Ansicht, dass er Narraway etwas Nützliches würde berichten können. Es dürfte sich einfach um eine der zahllosen hässlichen Straßenszenen handeln, die hier wohl an der Tagesordnung waren und niemanden überraschten.
    Weitere Polizisten kamen und begannen, die aufeinander eindreschenden Männer zu trennen. Als Lohn ihrer Mühe bezogen sie ihrerseits Schläge. Der Hass auf die Polizei schien der einzige gemeinsame Nenner der Menge zu sein.
    »Verdammtes Greiferpack!«, stieß ein Mann hervor und fuhr mit den Fäusten durch die Luft, bereit, sie jeden in Reichweite spüren zu lassen. »Ihr blöden Säcke könnt ja nich mal ’ne Fliege fangen, geschweige denn Verbrecher!«
    Einer der Beamten schlug mit seinem Stock nach ihm, ohne ihn zu treffen.
    Pitt blieb im Dunkel des Torbogens. Sein Blick erfasste die

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