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Die Verschworenen

Die Verschworenen

Titel: Die Verschworenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Gedanke verfolgte mich den gesamten restlichen Tag und es gelingt mir nicht, ihn abzuschütteln. Wenn die Kontrolleure aus der Sphäre Hoffnung angereist sind, dann sollte ich mich besser vor ihnen verstecken. Ich wünschte, ich könnte wenigstens ihre Gesichter sehen, aber es macht ganz den Eindruck, als nähmen sie ihren Mundschutz nie ab.
    Doch mittlerweile ist von ihnen keine Spur mehr zu sehen. Es ist fast gespenstisch ruhig, während ich über das Datenterminal auf die Suche nach weiteren Nachrichten gehe.
    Es gibt einen Bericht, der die Trauerfeier an der Akademie in allen Details beschreibt. Das Foto der sechs Särge auf dem Podium bringt mich beinahe zum Lachen. Die Deckel sind geschlossen – natürlich sind sie das. Ich frage mich, was sich anstelle unserer toten Körper darunter befunden hat, um für die nötige Schwere zu sorgen. Steine? Andere Leichen? Mit Erde gefüllte Säcke?
    Bei der Trauerfeier für Lu, Raman und Curvelli waren es nur drei Särge, von denen einer offiziell leer gewesen war. Man habe Curvellis Leichnam nicht gefunden, hieß es. Auch eine Möglichkeit, mitzuteilen, dass er noch lebt. Ich wünschte, ich wüsste, ob er die Dornen erreicht hat.
    Wer sagt eigentlich, dass sich das nicht in Erfahrung bringen lässt?
    In der Schreibtischschublade links unten liegt ein Stapel Papier, das habe ich letztens entdeckt. Es wird niemandem auffallen, wenn ich ein Blatt an mich nehme. Morgen ist Ruhetag. Ich könnte mein Glück versuchen.
    Die passenden Worte zu finden, kostet mich über eine Stunde – falls jemand den Zettel fälschlicherweise in die Finger bekommt, darf man keinesfalls die richtigen Schlüsse ziehen können. Einmal ruft ein Patient nach mir, weil er durstig ist, ansonsten bleibe ich ungestört. Am Ende habe ich acht Zeilen, die mir brauchbar scheinen.
    Alles ist in Ordnung, wenn auch nach wie vor unklar. Du wirst vermisst. Erinnerst du dich an die drei, von denen einer leer war, aber alle geschlossen? Ich glaube, ich habe gesehen, was im dritten gefehlt hat; sein Ziel war unser Ausgangspunkt. Du solltest ihm begegnet sein und ihn erkannt haben. In diesem Fall bist du jetzt schon schlauer als wir alle. Er hat gesucht, wen niemand mehr wird finden können. Lass mich wissen, wie die Dinge stehen. Ich werde das Gleiche tun .
    Es gibt so viel, das ich außerdem gern schreiben würde: Warst du in der Bibliothek? Hast du neue Chronik-Seiten gefunden? Endlich etwas, das einen klaren Sinn ergibt? Und: Wie geht es Sandor? Ist er gesund, am Leben? Ist er noch Clanfürst? Hat er mit dir gesprochen, irgendwann? Über mich?
    Unvernünftige Fragen, die in meiner derzeitigen Situation keine Rolle spielen dürfen.
    Klein zusammengefaltet lasse ich den Zettel in der Hosentasche verschwinden. Dass ich ihn geschrieben habe, bedeutet nicht, dass ich ihn auch losschicken werde. Der Text, so unverständlich er für Außenstehende sein muss, ist trotzdem verdächtig. Gerade wegen der Formulierungen. Kein Grenzgänger wird sein Leben riskieren, um mich zu schützen, wenn Sentinel ihn befragen. Er wird ihnen sagen, von wem er die Nachricht bekommen hat und für wen sie bestimmt ist.
    Also darf er nicht wissen, dass er überhaupt eine Nachricht transportiert.
    Ich missbrauche Albinas Vertrauen mit sehr schlechtem Gewissen, aber es geht nicht anders. Ein Dreieckstuch. Ein kleines Päckchen Schmerztabletten. Wunddesinfektionslösung. Und zu guter Letzt ein Paket Eiweißkekse, das ich mit aller Vorsicht öffne, um den gefalteten Zettel hineinzuschieben, bevor ich es wieder zuklebe.
    Gelungen. Es sieht unberührt aus.
    Ich wickle alles in das Dreieckstuch, verklebe das Paket mit zwei Wundpflastern und stecke es in den Gummibund meiner Arbeitshose. Das darüberfallende Hemd ist weit genug, um keine Umrisse erkennen zu lassen.
    Bis Osler am frühen Morgen auftaucht, sich gähnend in den Türrahmen lehnt und mir mit einem lässigen Winken zu verstehen gibt, dass ich jetzt schlafen gehen kann, ist mir fast schlecht, weil das Paket ständig gegen meinen Magen drückt.
    Ich gähne ebenfalls und schlendere aus dem Zimmer, ohne jede Eile.
    Frühmorgens am Ruhetag drücken sich die Grenzgänger gern nahe der Sphäre herum. Es ist der Tag, an dem die hohen Herrschaften etwas länger schlafen – und das Fußvolk die Gelegenheit nutzt, seine Tauschgeschäfte abzuwickeln .
    Ich hoffe, dass Krunnos optimistische Schilderungen zutreffen. Um zur Schleuse zu kommen, muss ich bis Kuppel 12 gehen, das ist kein kurzer Weg.

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