Die Verschworenen
verstehe.
Mein Dienst endet pünktlich und ich nehme mir fest vor zu schlafen, so lange es irgend geht. Doch mein Gehirn hört nicht auf, an dem, was passiert ist, herumzudeuten.
Eine Geisel? Kann sein, ich erinnere mich, dass im Clanhaus einmal von Geiseln die Rede war. Aber ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass sie Andris mitgenommen haben, um ihn zu befragen? Dass sie ihm ein Wahrheitsserum verabreichen werden, um herauszufinden, ob er sechs Lieblingen begegnet ist, und wenn ja, wo sie jetzt stecken …
Wahrheitsserum. Von dem ich nicht einmal wusste, dass es das gibt, bis Fleming es erwähnt hat, um Aureljo davon abzubringen, in die Sphären zurückzugehen.
Aber warum dann Andris? Wäre es nicht einfacher, sich jemand Kleines, Schwaches zu schnappen, statt den größten Mann, den man kriegen kann?
Nein, logisch ist das nicht. Wenn die drei Ärzte den Auftrag hätten, mehr über unseren Verbleib herauszufinden, hätten sie mich außerdem erkannt. Nur der dünne hat mich länger gemustert, als käme ich ihm bekannt vor, doch nicht einmal das mit großem Interesse.
Kann Andris ihnen etwas erzählen, das uns gefährlich werden könnte? Er glaubt, dass wir nach Westen weitergezogen sind. Das dürfen gerne alle erfahren; viel schlimmer wäre es, wenn Sandor oder Quirin in die Hände des Sphärenbundes geraten wären. Schlimmer für uns. Was mit Andris passieren wird, sobald sie von ihm haben, was sie wollen, möchte ich mir nicht ausmalen.
Ich habe kaum geschlafen und bin viel zu früh bei der Pilzbank. Gleich kann ich mein Geheimnis mit Aureljo und Dantorian teilen, vielleicht haben sie etwas gehört, vielleicht machen Gerüchte über den Überfall auf die Dornen die Runde …
Doch zur verabredeten Zeit erscheint nur Dantorian. »Keine Sorge«, sagt er schnell. »Aureljo hat zu viel gearbeitet und ist völlig erschöpft, aber morgen kommt er wieder her, soll ich dir ausrichten.« Er setzt sich neben mich und umarmt mich kurz. »Die Kuppelreiniger haben es nicht leicht. Der Vorarbeiter ist ein Sadist, wie er im Buche steht.«
»Ja, schon gut.« Mir ist anzuhören, dass überhaupt nichts gut ist, deshalb setze ich sofort nach: »Es ist nur so, dass ich mit euch beiden über etwas sprechen wollte. Heute Nacht haben sie Andris in den Medpoint eingeliefert. Du erinnerst dich noch an ihn, oder?« Ich schildere Dantorian die Geschehnisse und breite alle meine Gedankengänge vor ihm aus. Wenn es unter der Pilzbank ein Abhörmikrofon gibt, sind wir geliefert.
Allerdings wären wir dann schon vor Wochen aufgeflogen.
»Ich hoffe, Tycho geht es gut«, flüstert Dantorian, als ich fertig bin.
Den Gedanken an Tycho habe ich mir bisher verboten. Wir haben ihn zurückgelassen, und auch wenn er es so wollte – er ist der Jüngste von uns. Wenn ihm etwas zugestoßen ist …
»Tycho ist der cleverste Kerl, den ich kenne, und er ist schnell auf den Beinen«, bemühe ich mich selbst ebenso zu überzeugen wie Dantorian. »Mit ihm ist sicher alles in Ordnung.«
Mein nächster Dienst beginnt erst am darauffolgenden Morgen und ich betrete die Station, als ginge ich in eine Schlacht. Ich hoffe so sehr, dass Andris noch hier ist. Und dass es ihm gut geht.
Wenn er allerdings aufgewacht ist …
»Guten Morgen!« Albina winkt mir entgegen, als ich das Dienstzimmer betrete. »Wir legen gleich los, sobald Osler da ist.«
Gemeinsame Visite, wobei meine Aufgabe darin besteht, die von Osler verordneten Therapien und Medikamente in ein tragbares Terminal einzutragen. Also werde ich Andris zu Gesicht bekommen – vorausgesetzt, ihm ist über Nacht nichts zugestoßen.
»Irgendetwas Neues, das ich wissen sollte?«, frage ich.
»Nichts Großartiges. Hedgar erholt sich von seinem Infarkt, ich denke, wir können ihn in drei oder vier Tagen entlassen. Der Außenbewohner ist noch immer nicht aufgewacht, seine Vitalzeichen sind aber stabil, ist also eher eine Frage der Zeit. Gestern ist ein Mädchen vom Putztrupp eingeliefert worden, das sich die Hand verätzt hat. Nicht allzu schlimm. Aber der Recycler mit den Verbrennungen wird eine Hauttransplantation brauchen; ich glaube, Osler will ihn in ein Center schicken. Ansonsten«, sie zuckt die Schultern, »alles wie gehabt.«
»In Ordnung.« Dann muss ich mir wenigstens keine Sorgen machen, dass Andris mir ein freudiges »Ria!« entgegenruft, wenn er mich zu Gesicht bekommt.
Was er wahrscheinlich nicht täte. Er ist nicht dumm. Aber zumindest ein erstauntes Augenaufreißen würde er
Weitere Kostenlose Bücher