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Die Verschworenen

Die Verschworenen

Titel: Die Verschworenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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gebracht hat, anstatt ihn zurückzulassen oder einfach zu töten, wie so viele andere vor ihm.
    Ich sehe ihn an und wünsche mir, dass er die Augen aufschlägt, aber gleichzeitig fürchte ich mich genau davor am meisten. Denn er würde mich auf den ersten Blick erkennen. Wir haben eine Menge Zeit miteinander verbracht und insgeheim habe ich ihn immer den Wolfsgott genannt, riesig, wie er war, in seiner zottig grauen Fellkleidung.
    Der Patient, bewusstlos nach einem harten Schlag auf den Kopf, ist der Anführer der Sammler des Clans Schwarzdorn.
    Es ist Andris.

32
    Die Diskussion zwischen den drei Besserwissern und Albina endet damit, dass sie ankündigt, Osler zu informieren, und dann hoheitsvoll abmarschiert.
    »Es ist ein Außenbewohner, hast du das gesehen?«, ruft sie, sobald sich die Tür ihres Dienstzimmers hinter uns geschlossen hat. »Sie haben einen Clanmann mitgebracht, das wird den anderen Patienten gar nicht gefallen.«
    »Das ist sicher der Grund, warum sie ihn in ein Einzelzimmer gebracht haben.« Es gelingt mir, unbeteiligt zu klingen. Fast gleichgültig. Albina dagegen genießt es sichtlich, ihrer Empörung freien Lauf zu lassen.
    »Letztens wollte ich ein Clanmädchen in die Sphäre bringen. Gebrochener Knöchel, damit kommt sie da draußen nicht weit. Keinesfalls, hat es von oben geheißen. Osler und ich haben sie vor der Schleuse, so gut es ging, versorgt, aber ohne Röntgen und ohne Nachkontrolle ist das natürlich Mist. Und jetzt …« Sie breitet fassungslos die Arme aus. »Jetzt bringen sie mir den riesigsten Außenbewohner, den sie finden können. Aber denen mache ich Schwierigkeiten, darauf kannst du wetten.«
    Sie stürmt aus dem Zimmer und lässt mich allein. Wenigstens ein paar Minuten werde ich haben, um meine Gedanken zu ordnen.
    Die Dornen sind überfallen worden, davon muss ich ausgehen. Sonst wäre Andris nicht hier. Ob es die Scharten, die Nachtläufer oder die Sentinel selbst waren, spielt keine große Rolle, auf jeden Fall muss es ein massiver Angriff gewesen sein. Andris ist kein Einzelgänger. Wenn es ihnen gelungen ist, ihn zu schnappen, wer weiß, wie viele andere tot sind oder schwer verwundet im Schnee liegen. Vielleicht ist die Siedlung zerstört worden, so wie die der Noraner. Von ihnen hat nur eine Handvoll überlebt. Ich glaube zwar, dass die Dornen besser gegen eine Attacke gewappnet sind und sich im schlimmsten Fall unter die Stadt zurückziehen würden, aber das ist nichts weiter als eine Vermutung.
    Ebenso gut kann es sein, dass Andris der letzte Überlebende ist.
    Die Sorge um Sandor drückt mir den Atem ab. Und ich kann nichts tun, buchstäblich nichts, um mehr zu erfahren. Es gibt niemanden, den ich fragen könnte, was passiert ist.
    Außer natürlich … Andris. Vorausgesetzt, er wacht wieder auf.
    Die verbleibenden Stunden des Nachtdienstes sind eine Qual. Einige der Patienten werden wach, als würden sie die Unruhe auf der Station spüren. Drei von ihnen bekomme ich allein in den Griff, einer hat starke Schmerzen und ich hole Albina, damit sie seine Medikamentendosis neu einstellt.
    »Ha«, sagt sie zufrieden, als wir danach gemeinsam zurück in ihr Dienstzimmer gehen. »Du bist genauso wütend wie ich, stimmt’s? Du zitterst ja beinahe – oder, sag mal, hast du etwa Angst?« Sie nimmt meine Hand. »Das musst du nicht. Die Clanleute aus der Umgebung sind relativ zivilisiert, der Kerl würde dir wahrscheinlich nichts tun, selbst wenn er könnte. Riesentyp, hm?« Sie lacht auf.
    Ich betrachte meine Hände und sehe tatsächlich ein leichtes Beben. Stress, Ungewissheit, Überforderung, die Mischung ist der Tod jeglicher Emotionskontrolle.
    Ich denke an plätscherndes Wasser, fallenden Schnee, eine weiße Wand. Nichts hilft. Erst als ich mir Graukos Gesicht vorstelle, wird es besser. Seine Augen, so wie sie mich angesehen haben, wenn er mich aufmuntern wollte. Wenn er mir vermitteln wollte, dass er an mich glaubt.
    »Ich denke auch nicht, dass der Mann mir etwas tun wird«, sage ich schnell. »Hast du schon herausgefunden, was passiert ist? Warum sie jemanden von draußen in die Sphäre bringen?«
    »Keine Spur, mir sagt doch niemand was. Vielleicht ist er eine Geisel, das hatten wir schon mal. Sollte sich sein Clan in letzter Zeit unfreundlich verhalten haben, ist er möglicherweise hier, um sicherzustellen, dass das nicht wieder geschieht.« Sie schüttelt den Kopf und murmelt etwas Unverständliches, wovon ich nur die Worte »Osler« und »es ihnen zeigen«

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