Die Verschworenen
hören.
»Du hast recht, sie werden ihn befragen wollen. Aureljo betrachtet seine Hände, die an manchen Stellen vom scharfen Putzmittel gerötet sind. »Ich wünschte, wir könnten etwas für ihn tun.«
In den nächsten Tagen ertappe ich mich dabei, wie ich öfter als nötig an Andris’ Krankenzimmer vorbeigehe. Meistens ist die Tür geschlossen, aber zwei- oder dreimal kann ich einen raschen Blick hinein erhaschen. Die drei fremden Ärzte sind rund um die Uhr bei ihm – genauer gesagt, jeweils einer von ihnen. Bei der Visite lassen wir den Raum praktisch immer aus; Osler sagt es zwar nicht deutlich, aber seinem grimmigen Gesicht nach zu schließen, hat er entsprechende Anweisungen von oben bekommen.
Meine Gedanken drehen sich fast nur noch um Andris, gleichzeitig fiebere ich dem kommenden Ruhetag entgegen. Ich habe Krunno zu den Dornen geschickt, er muss etwas von dem mitbekommen haben, was sich dort abgespielt hat. Mit schlechtem Gewissen horte ich seit einigen Tagen die vier Flaschen Alkohol und die Wundverbände, die er als Austausch für seinen Botendienst verlangt hat.
In der Nacht vor dem Ruhetag habe ich diesmal keinen Dienst, schlafe aber trotzdem kaum. Ich habe die Tauschwaren schon am Abend zuvor sorgsam verpackt und unter meinem Bett versteckt. Es ist ein schweres Bündel, aber immerhin bestehen die Flaschen aus Hermetoplast und sind damit nicht in Gefahr, zu Bruch zu gehen, sollte ich sie fallen lassen. Als ich unbemerkt aus dem Zimmer schleiche, ist es draußen noch dunkel. Eine meiner Quartiergenossinnen hat Nachtdienst im Medpoint, die andere hört nicht sonderlich gut; wollte ich sie wecken, müsste ich schon Feueralarm auslösen.
Auf den Gängen bin ich so gut wie allein. Zwei grüne Sentinel von der Quartierwache kreuzen meinen Weg, halten mich aber nicht auf, sondern grüßen nur – ihnen ist die Freude darüber, dass ihr Dienst gleich zu Ende ist, deutlich anzusehen.
Ich gehe langsamer. Allein und als Erste bei der Schleuse anzukommen, ist kein guter Schachzug, also suche ich mir einen unbeleuchteten Winkel und warte.
Zehn Minuten später höre ich Lachen und Schritte; eine Gruppe junger Frauen zieht an mir vorbei, jede trägt einen kleinen Packen Stoffreste unter dem Arm. Ich lasse ihnen etwa zwanzig Meter Vorsprung, dann schließe ich mich an. Schon aus einiger Entfernung kann ich sehen, dass der Sentinel mit dem fragwürdigen Humor wieder an der gleichen Stelle steht wie beim letzten Mal.
»Na, der Anblick verschönt mir aber den Morgen!«, ruft er, als er mich entdeckt. »Ah, und heute kommst du auch nicht mit leeren Händen!« Er tippt mit einem Finger auf das Paket und kräuselt die Stirn, als er gegen das Hermetoplast stößt. »Harte Sachen. Soll ich dich fragen, was du nach draußen bringst, oder kannst du mich davon überzeugen, dass das nicht nötig ist?« Er legt den Kopf schief und leckt sich über die Lippen.
Das einzig Vernünftige ist, auf sein Spiel einzugehen, wenigstens zum Schein. »Ich würde ja viel lieber bei dir bleiben, aber, na ja, Geschäft ist Geschäft.« Ich hebe mein Paket ein Stück höher. »Wenn ich das hier eingetauscht habe, gibt’s auf dem Rückweg vielleicht etwas zu naschen.« Ich quittiere sein erwartungsvolles Lächeln mit einem schnellen Kuss auf seine Wange. »Nicht mich. Clan-Spezialitäten, du weißt schon. Getrockneten Wolfsschinken.«
Hinter mir treffen die nächsten beiden Frauen ein und ich nutze die Gelegenheit, um an den Wachen vorbeizuschlüpfen.
Draußen überfällt mich eine neue Art von Nervosität. Wenn ich Krunno finde, wird die Ungewissheit ein Ende haben, ich werde erfahren, ob der Clan angegriffen wurde, wie es Sandor und Tycho geht, ob Curvelli aufgetaucht ist. Vielleicht brechen gerade die letzten Minuten an, in denen ich noch Hoffnung haben kann, sie alle wiederzusehen.
Aber im Moment ist vor der Schleuse noch nicht viel los. Der Wall ist ein dunkler Schatten in der grauen Dämmerung und ich sehe nur eine einzige Gestalt dort, die zu groß und zu dünn ist, um Krunno zu sein.
Allmählich wird es heller, ein grauroter Streifen säumt den Himmel, und aus dem Wald und der Sphäre strömen gleichermaßen Menschen heran. Jemand bietet mir eine Knochenklinge an, jemand anders einen geheimnisvollen Gegenstand aus der Zeit vor der Langen Nacht: Man kann ihn zusammendrücken und dann stanzt er Löcher in dünne Materialien. Immer zwei Stück, immer im gleichen Abstand.
Ich wimmle die Händler ab, frage sie aber vorher nach
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