Die Verschworenen
heute noch verschwinden«, grollt Albina. »Und wenn sie auf die Idee kommen sollten, Sindra mitzunehmen, dann haben sie sich geschnitten. Nur damit erst gar keine falschen Vorstellungen aufkommen.« Sie drückt meine Hand und sieht Osler triumphierend an. »Ist es nicht großartig, wie gut sie sich macht?«
Ich habe mich die ganze Zeit zurückgehalten und mir nicht anmerken lassen, wie gern ich wieder zu Andris möchte. Meinem Gefühl nach bin ich der Wahrheit dort näher. Außerdem will ich ihn schützen, so lächerlich gering meine Chancen auch sind – aber ich werde den Eindruck nicht los, dass sie ihn einfach heimlich verschwinden lassen werden, sobald sie mit ihm fertig sind.
Wieder wasche ich ihn und bürste sein Haar und den jetzt viel kürzeren Bart. Behrsen plaudert währenddessen mit mir, das heißt, er spricht und ich gebe gelegentlich zustimmende Laute von mir. Was er sagt, ist nicht besonders spannend, hauptsächlich geht es um die speziellen Eigenarten der Clans, die er auf seinen Reisen zwischen den Sphären beobachten konnte. Während er erzählt, sieht er mich nicht an, sondern drückt auf seinem tragbaren Terminal herum, ganz offensichtlich froh über die kleine Pause, die meine Mitarbeit ihm verschafft.
Auf dem Arbeitstisch an der Wand stehen wieder Röhrchen. Sind es die gleichen wie vorgestern? Das kann ich mir nicht vorstellen, aber ebenso seltsam wäre es, Andris jeden Tag Blut für neue Tests abzunehmen.
Behrsen interessiert sich keine Spur für das, was ich tue, also beschließe ich, dass ich einen frischen Waschlappen brauche. Es gibt einen kleinen Vorrat in dem Regal direkt neben dem Tisch.
Ich krame herum, gehe in die Hocke; die Proben stehen nah genug, um die Beschriftungen auf den Etiketten lesen zu können.
Das Ergebnis ist enttäuschend. Es sind keine Gentests, und wenn doch, dann sind sie mir unter diesen Abkürzungen noch nie begegnet.
GL /2J-B
DH /L10/V
RP -72b/UW
ZM 23-2/V
Ich versuche, mir die Kombinationen einzuprägen, was schwierig ist, da ich keine passenden Assoziationen zur Hand habe. Mein fotografisches Gedächtnis ist gut, aber nicht langlebig – in einer Viertelstunde werde ich bei der Wiedergabe der Beschriftungen Fehler machen, in einer halben habe ich drei von vieren vergessen.
Was ich brauche, ist Papier und ein Stift.
Ich richte mich wieder auf und mache ein paar schüchterne Schritte auf Behrsen zu, bleibe vor ihm stehen und warte, dass er aufblickt.
Er lässt sich Zeit damit, und deshalb entdecke ich es, auf dem leeren Stuhl neben ihm.
Kein offizielles Dossier diesmal, sondern eine Mappe, von Hand beschriftet:
S NMN , Report.
Als er mich endlich ansieht, bin ich noch dabei, mich wieder zu fangen. Das ist nie und nimmer ein Zufall. Etwas stimmt nicht mit Sphäre Neumünster und es muss etwas Schwerwiegendes sein.
»Ja, Sindra?«
Behrsen klopft mit einem Finger auf sein Terminal. »Was möchtest du denn?«
»Ich müsste kurz auf die Toilette, bitte. In zwei Minuten bin ich wieder da.«
Er lächelt, nickt und liest weiter.
Das nächste Stück Papier finde ich in Albinas Dienstzimmer, das glücklicherweise leer ist.
Weiß ich die Kombinationen noch? Sind sie überhaupt wichtig, im Vergleich zu dem, was ich gerade entdeckt habe?
Egal. Festhalten, damit sie nicht verloren gehen.
Meine Schrift ist nervös und fahrig, aber mein Gedächtnis lässt mich nicht im Stich, ich bin ziemlich sicher, dass das Niedergeschriebene fehlerlos ist.
Den Zettel stecke ich in meinen Schuh, dann kehre ich zu Andris zurück, beende meine Arbeit und versuche währenddessen, nicht dorthin zu schauen, wo die Aufzeichnungen über Neumünster liegen.
»Wenn du fertig bist, kannst du gehen«, sagt Behrsen. »Wann hast du denn das nächste Mal Nachtdienst?«
»Morgen.«
Er lacht, ohne mich anzusehen. »Das trifft sich gut. Ich auch.«
Ich bereite Albina schon einmal darauf vor, dass Behrsen mich demnächst auch nachts für sich arbeiten lassen will, und wie erwartet fährt sie fast aus der Haut.
»Er ist wirklich der Faulste von den dreien! Die beiden anderen erledigen ihre Arbeit auch alleine. Ich finde das absolut unverschämt!«
Ich nicke. »Aber bald sind sie ja fort. Und weißt du, ich kümmere mich ganz gern um den großen Prim, er tut mir irgendwie leid.«
Das besänftigt sie. »Stimmt. Es ist gut, wenn sich jemand seiner annimmt, der ihn als Menschen sieht und nicht als Forschungsobjekt. Falls er aufwacht, wird er große Angst haben, desorientiert
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