Die Verschworenen
sein – ich will mir gar nicht ausmalen, wie es ist, sich plötzlich in einer Umgebung wiederzufinden, die einem so völlig fremd ist.«
»Ja, schwer vorzustellen«, stimme ich zu.
»Ach, und Sindra, ich weiß, du meinst es nicht böse, aber versuche bitte, die Bezeichnung Prim zu vermeiden. Es ist eine Abkürzung für primitiv und so wird niemand gern genannt.«
»Oh. Natürlich, tut mir leid.« In Gedanken umarme ich Albina und frage mich stumm, was sie tun würde, wenn sie wüsste, was ich weiß. Ob sie weiter einem System dienen könnte, das hungrige Menschen vergiftet.
Könnte sie nicht, davon bin ich überzeugt. Sie würde hier alles kurz und klein schlagen, und dann …
An der Stelle weiß ich nicht weiter. Was können Sphärenbewohner, die mit den Entscheidungen des Bundes nicht zufrieden sind, überhaupt tun? Protestieren und von da an als Schwachstellen des Systems gelten? Nach draußen gehen, in eine Welt, mit der sie den Umgang nie gelernt haben?
Der Gedanke beschäftigt mich den ganzen Tag, ebenso wie der Report über Sphäre Neumünster, dem ich einmal mehr so nah war und der trotzdem unerreichbar bleibt. Ich kann es kaum erwarten, am Abend mit Aureljo und Dantorian darüber zu sprechen, doch die haben eigene Neuigkeiten. Es ist Aureljo gelungen, die Aufmerksamkeit des Sphärenmeisters zu gewinnen, indem er eine Meldung über Haarrisse in der Zentralkuppel geschrieben hat, die bisher allen entgangen waren – oder einfach ignoriert wurden.
Ich erinnere mich an einen oder zwei Fälle, in denen solche Haarrisse eine Kuppel dermaßen schwächten, dass sie von Außenbewohnern eingeschlagen werden konnte.
Der Sphärenmeister war voll von Lob und Dankbarkeit, also ist Aureljo jetzt nicht mehr bei der Kuppelreinigung tätig, sondern beim technischen Dienst, Abteilung 1. Diese Abteilung kümmert sich ausschließlich um die Gebäude und Anlagen der leitenden Beamten und führenden Köpfe der Sphäre.
»Jetzt stehen mir wirklich jede Menge Türen offen. Ich kann versuchen, über das Zentralterminal in die Datenbank einzusteigen, und ich kann unter einem Vorwand auf den Raum der Exekutoren zugreifen.« Aureljo drückt mich an sich und küsst mein Haar, meine Stirn, meine Wange, danach weiche ich ihm aus.
Den Drang, mit ihm über Sandor zu sprechen, unterdrücke ich seit Wochen, und jetzt ist ganz bestimmt nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Es würde Aureljo zu sehr aus dem Konzept bringen und damit uns alle in Gefahr.
Küssen möchte ich ihn trotzdem nicht.
Belüge ich mich eigentlich selbst? Wie ich es von Grauko gelernt habe, überprüfe ich meine Motive, aber es ist tatsächlich keine Feigheit, die mich schweigen lässt. Wenn ich könnte, würde ich lieber heute als morgen die Karten auf den Tisch legen.
Am Ende erzähle ich auch nichts von dem Schriftstück, das ich bei Behrsen gesehen habe, sondern lasse Aureljo all seine Pläne vor uns ausbreiten, die er sich im Lauf des Tages zurechtgelegt hat. Das Vertrauen eines Verantwortungsträgers zu gewinnen, ist immer ein Punkt auf seiner Liste gewesen, und ich habe keine Zweifel, dass ihm das gelingen wird.
Die Frage ist nur, ob es etwas bringt.
34
Für die Nacht, die auf den nächsten Tag folgt, bereite ich mich vor wie auf eine der großen Prüfungen an der Akademie. Ich habe mir drei Ziele gesetzt: Ich will wissen, was es mit Sphäre Neumünster auf sich hat, ich will mit Andris sprechen und ich will bei keiner der beiden Aktionen erwischt werden.
Dass Behrsen meine Dienste einfordert, kann nur eins bedeuten: Er möchte schlafen, ohne das Risiko einzugehen, von einem seiner beiden Kollegen ertappt zu werden oder eine eintretende Krise nicht zu bemerken. Würde Andris an einem seiner Barthaare ersticken, hätte Behrsen am nächsten Tag ein paar unangenehme Fragen zu beantworten.
Was ich noch nicht absehen kann, ist, ob er seine Nachtruhe in Andris’ Krankenzimmer oder in der winzigen, direkt daran angrenzenden Kammer verbringen möchte. Es macht keinen großen Unterschied, denn der kleine Raum hat keine Tür, trotzdem wüsste ich es gerne. Je genauer ich die Umstände kenne, desto besser kann ich meine einzelnen Schritte planen.
Bis zum Nachmittag habe ich mir alles zurechtgelegt, so weit jedenfalls, dass ich nun ruhiger werde. Einen bunten Strauß an überzeugend klingenden Ausreden, die ich je nach Situation anwenden kann, sollte etwas schiefgehen. Und ich habe mir die optimale Reihenfolge aller nötigen Aktionen eingeprägt, weiß
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