Die Verschworenen
Umständen, wie sie sollte. Mir fehlen zu viele Bausteine, als dass ich ein stabiles Gedankengebäude errichten könnte.
Ich warte, bis ich sicher sein kann, dass der Silberhaarige nicht mehr in der Nähe ist, dann verlasse ich das Materiallager und melde mich im Dienstzimmer. Oder jedenfalls versuche ich es, aber ich bin die Erste. Albina erscheint fünf Minuten zu spät, fast zur gleichen Zeit wie Behrsen, der mich abholt und sich von den giftigen Blicken seiner Kollegin nicht beeindruckt zeigt.
Es dauert, bis er sich schlafen legt. Gut drei Stunden lang liest er Fachartikel auf seinem Terminal – jedenfalls vermute ich das. Vielleicht schmökert er auch nur in einem alten Liebesroman.
Währenddessen hocke ich auf einem harten Stuhl neben Andris’ Bett. Mein Blick wandert über sämtliche Regale, Ablageflächen und Aktenfächer, aber bisher habe ich Behrsens Aufzeichnungen nirgendwo entdecken können. Wenn er schläft, werde ich den Raum richtig durchsuchen und das Beste hoffen. Die Zeichen stehen nicht schlecht: Die Liege, die er sich bereitgestellt hat, befindet sich im Nebenraum, nicht hier im Krankenzimmer.
Irgendwann schließt Behrsen sein Datenterminal, klemmt es sich unter den Arm und steht auf. »Die rothaarige Ärztin ist ganz schön bissig, nicht? Wenn du meinetwegen Ärger kriegst, sag Bescheid, dann sorge ich dafür, dass sie Schwierigkeiten bekommt.«
Ist ja ein reizendes Angebot. »Vielen Dank, aber zu mir ist sie immer sehr freundlich.«
»Na dann.« Er nickt, gähnt und verzieht sich nach nebenan.
Ich bleibe sitzen, lausche Andris’ gleichmäßigen Atemzügen, bis sie sich mit den Schnarchgeräuschen des Arztes mischen.
Nichts überstürzen.
Ich warte weitere fünf Minuten, dann erst ziehe ich meine Schuhe aus. In einem befindet sich immer noch der Zettel, auf dem ich die Buchstaben- und Zahlenkombinationen der Proberöhrchen notiert habe – jetzt fällt er heraus.
Dumm von mir. Ich hätte mir längst einen besseren Aufbewahrungsort suchen sollen, aber ich wollte diese Notizen bei mir tragen. Nicht riskieren, dass sie jemand in meinem Quartier findet. Sie würden mich verdächtiger machen als die vier Flaschen Alkohol, die ich bunkere. Der Zettel wandert in die Hosentasche, ganz tief nach unten.
Meine Schritte sind lautlos, als ich um Andris’ Bett herumgehe und die Rollenklemme am Infusionsschlauch zudrehe. Zwei Tropfen lösen sich noch aus dem Beutel, dann ist Schluss. Ich hoffe nur, dass die Kontrolleure uns nicht belogen haben und tatsächlich nichts Wichtigeres als Nährlösung und Antibiotika in Andris hineinfließen, von dem Schlafmittel einmal abgesehen.
Er atmet genauso ruhig weiter wie bisher. Gut.
Das Wandregal zu meiner Rechten beherbergt vor allem Patientenakten. Nicht nur die von Andris, sondern auch von einigen anderen Patienten des Medpoints. Die von Konrik zum Beispiel, dem jungen Sentinel, der nach der Stichprobenuntersuchung nicht mehr aufgetaucht ist. Ich blättere die Akte durch, vorsichtig, um nicht allzu sehr zu rascheln, und achte genau auf Behrsens Schnarchen. Solange das unverändert bleibt, besteht keine Gefahr.
In der Akte finde ich nichts Aufschlussreiches. Konrik war von einem geschleuderten Stein an der Schläfe getroffen, aber nicht sehr schwer verletzt worden. Falls man ihn in eine andere Sphäre verlegt hat, wird das hier jedenfalls nicht erwähnt.
Ich nehme jede einzelne Mappe aus dem Regal, aber die über die Sphäre Neumünster ist nicht dabei. Was, wenn Behrsen sie mit in den Nebenraum genommen hat?
Auch diese Möglichkeit habe ich vorab im Kopf durchgespielt und mich dazu entschlossen, meine Entscheidung je nach Situation zu treffen. Das Risiko muss vertretbar sein und ein Erfolg zumindest denkbar.
Langsam. Lautlos. Ich habe den Eindruck, dass mit jedem Schritt, den ich tue, Behrsens Schnarchen durchdringender wird.
Dann stehe ich im Türrahmen, das Licht des Krankenzimmers wirft einen schwachen Schein in die Kammer. Es ist eigentlich ein Badezimmer; Behrsen hat seine Liege zwischen Dusche und WC aufgestellt. Er schläft auf dem Rücken, ein Arm hängt seitlich herunter, der zweite liegt angewinkelt hinter seinem Kopf.
Neben ihm, auf dem Boden, befinden sich das Datenterminal und ein kleiner Aktenstapel.
Ich passe meinen Atemrhythmus dem von Behrsen an und gehe in die Hocke. Langsam, damit keine Gelenke knacken. Auf allen vieren krieche ich auf den Stapel zu, bewege mich immer zeitgleich zu den Schnarchgeräuschen; dazwischen halte
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