Die Verschworenen
Falken entdeckt. Offenbar ein Irrtum. Er seufzt. »Man könnte glauben, dass sich die widerlichsten Clans der Umgebung gegen uns zusammengerottet haben. Die Scharten natürlich, doch das sind wir gewöhnt. Aber so viele Schlitzer haben wir selten gleichzeitig in der Nähe beobachtet. Sie haben drei unserer Leute erwischt; zwei Alte und ein Mädchen von den Sammlern.«
Ich frage nicht nach, wer das Mädchen war, ich will kein Gesicht mit dieser Nachricht verbinden. Auch, wie genau die drei Dornen zu Tode gekommen sind, möchte ich lieber nicht wissen, denken kann ich es mir ohnehin. Die Schlitzer tragen ihren Namen nicht ohne Grund.
»Vor fünf Tagen wurde dann noch eine Horde Nachtläufer gesichtet. Das ist wirklich ungewöhnlich, denn die haben ihr Territorium viel weiter im Osten.«
Nachtläufer. Ich erinnere mich an die Geschichten, die in den Sphären über sie die Runde machten: Sie brechen ihren Opfern die Zähne heraus und füllen sie in alte Rohre, um Rasseln daraus zu machen. Ich frage Sandor, ob das stimmt, und er wiegt unschlüssig den Kopf hin und her.
»Früher haben sie das angeblich getan, ja. Aber selbst wenn das immer noch zu ihren Ritualen gehört, ist es nicht das größte Problem, das wir mit ihnen haben.« Er stößt einen Pfiff aus und hebt die Hand mit dem langen Lederhandschuh. Über uns kreist ein winziger Punkt, der allmählich größer wird, je tiefer er sinkt.
»Das Schlimme an den Nachtläufern ist, dass sie ein Clan von Ausgestoßenen sind. Ähnlich wie die Schlitzer.«
Nun kann auch ich Kelvins weißes Federkleid erkennen. Seine Flügel bewegen sich nicht, trotzdem zieht er perfekte Kreise am morgendlich grauen Himmel.
»Wenn jemand ein Verbrechen begeht«, fährt Sandor fort, »kann der Clan ihn ausstoßen. Bei uns passiert das selten, aber es kommt vor. Viele der Ausgestoßenen kommen ums Leben, aber einige suchen sich neue Clans. Oder gründen welche. Auf diese Weise haben sich vor vielen Jahren die Nachtläufer gefunden. Sie sind ehemalige Teliker, Wolfswächter, Noraner oder Dornen, manche sind sogar von den Scharten ausgestoßen worden. Sie sind gefährliche Gegner, denn sie kennen die Sitten und Gebräuche der anderen Clans, schließlich haben sie früher selbst dazugehört. Sie wissen, wie stark die Bewaffnung ist und wo ein Angriff den meisten Schaden anrichtet.«
Sie sind wie wir, geht es mir durch den Kopf. Auch wir sind Ausgestoßene und kennen die wenigen Schwachpunkte der Sphären. Aber das ist jetzt zweitrangig. Ich ahne, worauf Sandor hinauswill. Dass die Nachtläufer so weit von ihrem eigentlichen Territorium auftauchen, hält er nicht für Zufall.
»Du denkst, die feindlichen Clans sind nicht aus eigenem Antrieb hier, oder? Sondern dass sie von den Lieblingen dazu angestiftet wurden.« Es ist das erste Mal, dass ich das Wort in diesem Zusammenhang verwende. Lieblinge. Heißt das, dass ich mich endgültig nicht mehr zu ihnen zähle?
»Und dass sie von ihnen bezahlt werden, ja.« Sandor hat mir sein Gesicht zugewendet, ich lese darin leises Erstaunen und eine gewisse Erheiterung. »Es würde sehr gut zu allem anderen passen, was gerade passiert.«
Ein heiserer Schrei. Kelvin setzt zur Landung an, steuert auf die Faust im Lederhandschuh zu, die Sandor jetzt wieder hoch in die Luft reckt.
»Da bist du ja.« Er streicht sanft mit der Rechten über Kelvins Kopf, über seinen Rücken.
Der Falke knetet mit seinen gelben Fängen die Hand, auf der er sitzt, die langen Krallen bohren sich ins Leder. Sandor versetzt ihm einen spielerischen Stups gegen den Schnabel.
»Nicht so grob, du Raubtier.«
Aus seiner Umhängetasche holt er ein rosafarbenes Stück Fleisch, das er Kelvin hinhält. Der stürzt sich gierig darauf.
»Ratte«, erklärt Sandor auf meine stumme Frage hin. »Heute Morgen eigenhändig gefangen. Falken vertragen nur ganz frisches Fleisch.«
Dass mir, während ich Kelvin bei seiner Nahrungsaufnahme beobachte, nicht der Hunger vergeht, sondern mir im Gegenteil bewusst wird, dass ich heute noch nichts gegessen habe, sagt eine Menge darüber aus, was sich alles verändert hat, seit ich die Sphären verlassen habe.
»Willst du ihn einmal halten?«
So, wie Sandor das sagt, klingt es wie eine Prüfungsfrage. Mein erster Impuls ist, sie mit Nein zu beantworten. Tiere haben in meinem Leben bisher keine Rolle gespielt, in den Sphären gab es nirgendwo Platz für sie, von ein paar Labormäusen abgesehen. Das bedeutet, dass ich nie Gelegenheit hatte, mich mit
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