Die Verschworenen
meinen, obwohl ich noch nicht genau weiß, wie sie konkret aussehen. Ziegen hüten für die Dornen vielleicht, wenn sie irgendwann bereit sind, mich in ihren Clan aufzunehmen. Oder weiterwandern, ins Ungewisse. Unter der Erde kann ich mich nicht ewig verstecken, so viel ist klar.
An einem der nächsten Abende zeigt mir Aureljo ein silbernes Plättchen, das mit seiner Ohrmuschel verwachsen zu sein scheint. Er hat sich den Identitätschip einsetzen lassen, von Lennis, dem desertierten Sentinel. Jetzt hat er hier Frau und Kinder. Es ist also möglich. Mit Lennis ist es wieder einer mehr, der von unserer Anwesenheit weiß, aber Aureljo ist sich sicher, dass wir ihm vertrauen können.
»Außerdem hatten wir keine Wahl. Er wusste, wie man das macht. Morgen ist Dantorian dran und …« Aureljo sieht mich an, mit diesen wunderschönen Augen, in die ich mich vor Jahren verliebt habe. »Und wir haben noch zwei Chips in Reserve. Falls du es dir anders überlegst. Denn dann würde Tycho auch mitkommen, das weißt du. Dantorian und ich können es schaffen, aber wenn wir zu viert wären, wäre es eine sichere Sache.«
»Das glaube ich nicht.« Weiß er, wie unfair das ist, was er da versucht? Mir einzureden, dass das Gelingen seines Plans von mir abhängt? Und dass, wenn ich mich weigere, das Misslingen automatisch meine Schuld ist?
»Du sollst nur wissen, dass dir noch alle Möglichkeiten offenstehen.«
Ich sage nicht Danke, sondern stehe auf und kümmere mich um unser kleines Feuer. Sollte Aureljo denken, er könnte mich manipulieren, dann irrt er sich.
»Woher habt ihr die Chips?«
»Gekauft. Es gibt mehr Sphären-Deserteure, als man denkt. Identitätschips sind häufig das Wertvollste, was sie besitzen, die können sie teuer verkaufen. Oder eintauschen.«
Das sehe ich ein. Für jeden, der rauswill, gibt es wahrscheinlich fünfzig, die reinwollen. »Ihr solltet den Chip, der für mich gedacht ist, weiterverkaufen. An jemanden, der ihn haben möchte.«
»Ria.« Aureljo tritt zu mir, zum Feuer, nimmt meine Hände. »Was, glaubst du, kann hier draußen aus uns werden? Denk daran, was wir alles hatten. Eine Zukunft, aber vor allem eine Aufgabe. Hier sind wir einfach nur überflüssig. Eine Last für die Dornen, die wir mit unserer Anwesenheit in Gefahr bringen.«
Ich halte meine Hände ruhig, widerstehe der Versuchung, sie zurückzuziehen. Diesmal prallen Aureljos Worte nicht an mir ab. Diesmal hat er recht.
»Wir wollten immer eine Welt für alle schaffen. Die Clans mit eingeschlossen. Und wir waren unserem Ziel noch nie so nah, denn jetzt haben wir Kontakt zu ihnen, wir wissen, dass sie viel zivilisierter sind, als wir dachten. Wir müssen nur dieses eine Missverständnis aus der Welt schaffen, dann können wir sie aus den Angeln heben!«
Ein schönes Wortspiel. Etwas, das sich in einer Rede gut machen würde, das im Gedächtnis bleibt. Aber was Aureljo in Wahrheit antreibt, hat er ein paar Sekunden vorher gestanden, in einem Nebensatz. Ihm fehlt die Aufgabe. Etwas, worauf er hinarbeiten kann, denn das hat er sein ganzes bisheriges Leben getan. Einfach nur zu überleben ist ihm zu wenig.
Vielleicht war er deshalb die Nummer 1 und ich nur die 7. Weil ich mich auch mit kleineren Zielen zufriedengebe als mit der Vereinigung von Sphären und Stämmen. Mit Pfeil und Bogen einen Kreidehasen auf einer Holzwand treffen, zum Beispiel.
13
Die meisten sind schwach und unterernährt. Vielen der Männer fehlen Zehen oder Finger, ein schmerzhafter Tribut an die Kälte. Vielleicht haben sie uns deshalb aufgenommen, weil es nicht mehr schlimmer werden kann .
Ich habe eine weitere Chronik-Seite gefunden, diesmal wieder eine mit Datum: 12.64.NA. Sie ist nicht besonders gut zu lesen, der Rand ist bräunlich verfärbt und gewellt. Zum ersten Mal frage ich mich, ob die Flecken auf dem Papier und das, was die Bücher in dem Haufen links von mir zusammenklebt, nicht Blut sein könnte. Doch wenn dem so ist, dann handelt es sich um altes Blut und ist von niemandem, den ich kenne.
Dem Inhalt nach zu schließen, muss Jordan den Text kurz im Anschluss an die gelungene Flucht verfasst haben, der Clan ist ihm noch fremd.
Natürlich haben wir ihnen Versprechungen gemacht. Dass wir sie lehren werden, was wir wissen, dass sie nicht mehr so oft werden hungern müssen. Alles wahr. Aber das Wichtigste haben wir ihnen verschwiegen: dass wir den Tod in unserer Gewalt haben. Den Tod, der für sie vorgesehen war. Dass wir geflohen sind, um sie zu
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