Die verschwundene Frau
rollte auf dem schimmeligen Boden der Dusche zur Seite und richtete mich zur Hocke auf. Aber sie sprang schon auf mich zu, bevor ich die Waffe wegtreten konnte, und packte mich am Hals. Ich ergriff meinerseits ihre Schultern und rammte ihr das Knie in den Magen. Sie sehne vor Schmerz auf und ließ mich los.
Jetzt war die Frau mit der Waffe wieder hinter mir. Allmählich ließen meine Kräfte nach; ich hatte schon eine Stunde lang Sport getrieben und wusste nicht, wie lange ich noch in der Lage sein würde weiterzukämpfen. Als sie sich auf mich stürzte, duckte ich mich weg. Der feuchte Boden besorgte den Rest. Sie verlor das Gleichgewicht, bemühte sich, es wiederzuerlangen, und knallte dabei mit voller Wucht gegen die Betonwand. Ihre Partnerin sah sie fallen und rief um Hilfe.
Die Aufseher waren so schnell zur Stelle, dass sie sich mit Sicherheit in dem Augenblick in Bewegung gesetzt hatten, in dem die Frau gegen die Wand geknallt war.
»Sie hat sich auf mich gestürzt! Und auf Celia auch. Sie hat sie k.o. geschlagen!«
Rohde packte mich und drehte mir die Arme auf den Rücken. Polsen, der Aufseher, der sich hinter der Glaswand zu ihm gesellt hatte, machte keinerlei Anstalten, auch meine Angreiferin zu packen.
»Unsinn«, keuchte ich. »Celia hat eine Waffe in der Hand, mit der sie mich an der Schulter verletzt hat. Und du - ich weiß zwar nicht, wer du bist, aber wenn du wirklich duschen wolltest, wo sind dann dein Handtuch und deine Seife? Und Sie beide wissen das sicher, weil Sie ja alles über die Videokamera beobachtet haben.«
»Du hast mir Seife und Handtuch weggenommen.«
»Die Sachen auf dem Boden gehören mir. Und wo sind deine?« fragte ich.
Da tauchte Aufseher Cornish auf. Er war der fairste der Wachleute in unserem Flügel.
»Na, kämpfen wir schon wieder?« fragte er mich.
»Die Frau, die da auf dem Boden liegt, hat mich mit einer Waffe verletzt, als ich in die Dusche kam«, sagte ich. »Sie hat die Rasierklinge oder was es auch immer ist, noch in der rechten Hand.«
Die Frau am Boden begann sich allmählich wieder zu rühren. Bevor Rohde oder Polsen etwas unternehmen konnten, bückte sich Cornish und nahm ihr ein Stück Metall aus der Hand.
»Sie gehört in den Gefängnisflügel. Genau wie die andere auch. Ich setze euch alle drei auf die Strafliste. Warshawski, wenn ich Sie noch einmal in einer Auseinandersetzung erwische, kommen Sie in Einzelhaft. Und ihr beide verschwindet in euren eigenen Flügel. Wie seid ihr überhaupt hier reingekommen?«
Rohde musste mich loslassen. Er und Polsen brachten die beiden Frauen, die mich angegriffen hatten, hinaus. Cornish sah sich meine Schulter an und sagte, ich solle mir in der Krankenstation eine Tetanusspritze geben lassen. Das war fast so etwas wie ein Eingeständnis, dass ich tatsächlich angegriffen worden war.
»Ich würde mich gern zuerst waschen«, sagte ich.
Cornish wartete draußen im Flur, während ich mein Shampoo und mein Handtuch von dem schmutzigen Boden aufhob. Dann zog ich T-Shirt und Büstenhalter aus und ging unter die Dusche, die am weitesten von der Videokamera entfernt war. Hinterher brachte Cornish mich mit dem Aufzug hinunter in den Keller, den ich noch nicht kannte, und blieb bei mir, als ich die Spritze bekam. Die Frau in der Krankenstation trug eine desinfizierende Salbe auf meine Wunde auf. Sie war zum Glück nicht so tief, dass sie genäht werden musste, denn dazu hätte die Frau nicht die nötige Ausrüstung gehabt.
Schließlich brachte Cornish mich in meine Zelle zurück und sagte mir, ich solle besonders in der Nacht aufpassen. Alle in meinem Flügel schienen bereits über den Angriff auf mich Bescheid zu wissen. Offenbar hatte man sie davor gewarnt, in die Dusche zu gehen, wenn ich hinein wollte.
»Tja, jetzt steckst du in der Scheiße«, sagte Solina, nicht ganz ohne Schadenfreude. »Rohde fickt eine von den Iscariots. Er hat den zwei Mädels gesagt, sie sollen dir auflauern. Hat sogar Geld auf sie gesetzt. Das war die Rache für die Sache mit Angie.«
Als wir uns vor dem Essen zum Zählen aufstellten, erklärte mir Rohde, er habe mich auf die Strafliste gesetzt, weil ich einen Streit angefangen habe, in dem zwei andere Insassinnen verletzt worden seien. Meine Verhandlung werde in einem Monat stattfinden, wenn der Captain sich die Sache angesehen habe. Na wunderbar. Jetzt würde Captain Ruzich also erfahren, dass ich in seinem Gefängnis einsaß. Doch als ich den Strafzettel ansah, den Rohde mir gegeben hatte,
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