Die verschwundene Frau
meinem ersten Tag in Coolis hatte Cornish mich mit einer Rüge in meine Zelle zurückgeschickt, weil die Frauen aus der U-Haft die Freizeiteinrichtungen zu einer anderen Zeit nutzen mussten als die richtigen Gefangenen, aber ich hatte schon bald begriffen, dass die Aufseher nur auf der Einhaltung dieser Vorschrift bestanden, wenn sie eine Ausrede für eine Verwarnung suchten.
Der Hauptgrund, warum ich Miss Ruby seit dem Unabhängigkeitstag nicht mehr im Freizeitraum gesehen hatte, war ihr Arbeitsplan. Sie hatte einen der begehrtesten Jobs in der telefonischen Reservierung für Passport, eine Motel- und Mietwagenkette. Die meisten Jobs im Gefängnis dauerten von neun Uhr morgens bis drei Uhr nachmittags, doch die telefonische Reservierung musste vierundzwanzig Stunden täglich besetzt sein. Ruby hatte in letzter Zeit die Schicht von mittags bis sechs Uhr abends gehabt, und ich war nicht auf die Idee gekommen, am Vormittag im Freizeitraum nach ihr zu sehen.
Tags zuvor hatte ich für eine Frau einen Brief an Rapelec Electronics geschrieben, in dem ich erklärte, warum sie nicht in der Lage war, an ihrem speziellen Ausbildungsprogramm teilzunehmen, und bat, ihre Stelle für den September freizuhalten. Die Frau hatte mir als Gegenleistung eine kleine Kiste mit Tomaten aus der Gegend gegeben, das beste, was ich seit meiner Verhaftung gegessen hatte. Ich nahm zwei von ihnen als Gastgeschenk für Miss Ruby und begleitete die Frau, die Miss Rubys Nachricht an Solina überbracht hatte: Jorjette war mit einer Enkelin der alten Dame aufgewachsen.
Es war gar nicht so leicht, die Aufseher dazu zu bringen, dass sie Jorjette und mich vormittags in den Freizeitraum ließen. Cornish, der an jenem Morgen Dienst hatte, hielt sich strenger an die Regeln als Rohde und Polsen am Nachmittag.
»Vic will mir zeigen, wie man Körbe wirft«, jammerte Jorjette. »Alle sagen, sie ist die beste. Sie hat Angie geschlagen. Und außerdem müssen wir in einer Stunde zum Arbeiten in die Küche; wir müssen das jetzt machen, wenn wir's überhaupt machen wollen.«
»Wir können auch ein andermal wiederkommen«, sagte ich. »Aber ein andermal haben wir wahrscheinlich keine Tomaten. Pflanzen Sie auch welche, Cornish?«
Ich hielt ihm eine Tomate hin. Er sagte, ja, das Gärtnern sei sein Hobby, aber seine Tomaten seien noch nicht reif.
»Na schön, Mädels, ihr habt eine Stunde im Freizeitraum«, sagte er schließlich, nahm die Tomate und signalisierte dem Mann hinter der schusssicheren Glaswand, die Tür zum Gefängnisflügel zu öffnen.
Als wir den Freizeitraum betraten, hatte eine Aufseherin Dienst, die ich noch nicht kannte. Sie schaute sich zusammen mit einer Handvoll Frauen die Show von Oprah Winfrey im Fernsehen an. Miss Ruby saß in der Mitte der Gruppe, die grauen Haare frisch geschnitten und gelegt, Muschelohrringe, die mindestens dreimal so groß waren wie erlaubt, in den Ohren.
Sie sah Jorjette und mich kurz an, als wir hereinkamen und Stühle neben das Sofa stellten, auf dem die Frauen saßen, ließ sich aber ansonsten nicht anmerken, dass sie uns bemerkt hatte. Als die Sendung für einen Werbeblock unterbrochen wurde, ging Jorjette auf sie zu und fragte sie nervös, wie es ihr heute gehe.
Miss Ruby neigte daraufhin den Kopf und erwiderte, nun, so gut es in dieser Hitze eben gehen könne, sie sehne sich nach der frischen Luft. Jorjette meinte, es sei für alle schlimm, aber sie wisse, dass Miss Rubys Gelenke bei der Hitze besonders schmerzten. Vielleicht hätte sie gern eine frische Tomate, die sie an die frische Luft von draußen erinnern würde?
»Cream hat sie dir extra mitgebracht.«
Miss Ruby nahm die Tomate an und deutete mit dem Kopf ans andere Ende des Tisches. Die Aufseherin sah sich von der Couch aus weiter Oprah an, und die anderen Insassinnen ließen uns in Ruhe:
Wenn Miss Ruby nicht gestört werden wollte, wurde sie nicht gestört.
»Ich weiß wirklich nicht so recht, was ich von dir halten soll, Cream«, sagte sie, nachdem wir uns gesetzt hatten. »Bist du nun eine Kämpferin oder eine barmherzige Samariterin? Zuerst verprügelst du ein paar von den Iscariots, aber jetzt höre ich, dass du in deiner Freizeit Briefe für die Mädels schreibst. Manche von ihnen halten dich für einen Polizeispitzel.«
Ich blinzelte. Natürlich war das gar nicht so falsch, aber ich kannte Miss Ruby nicht gut genug und wollte mich keiner Fremden anvertrauen, am allerwenigsten einer Frau, die alle Gerüchte mitzubekommen schien.
»Wenn
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