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Die verschwundene Frau

Die verschwundene Frau

Titel: Die verschwundene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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nicht freiwillig in die Folter begeben«, platzte ich heraus. »Ich habe bewusst die Entscheidung gefällt, in Coolis zu bleiben. Wenn ich den Rat meines Anwalts befolgt hätte, wäre das alles nicht passiert.«
    »Also geben Sie sich für die Sache selbst die Schuld. Viele der Leute hier quälen sich auf ganz ähnliche Weise: Wenn ich an dem Morgen nicht zu meinem Haus zurückgegangen wäre, wenn ich meine Mutter besucht hätte, wie sie das wollte, wenn ich die Petition nicht unterzeichnet hätte... Natürlich wünschen wir uns, dass wir unser Schicksal selbst bestimmen können, und so suchen wir die Schuld bei uns, wenn etwas schiefgeht. Sie hatten beschlossen, in Coolis zu bleiben, um herauszufinden, was mit einer jungen Frau passiert ist, der Sie helfen wollten. Das ist alles andere als selbstsüchtig. Schließlich können Sie nicht sich die Schuld dafür geben, dass Menschen, die uneingeschränkte Macht über andere Menschen haben, diese Macht missbrauchen. Wenn Coolis menschlicher geleitet würde, wäre die junge Frau überhaupt nicht gestorben.«
    Ich versuchte, mir das, was er sagte, zu Herzen zu nehmen, litt aber immer noch unter so schlimmen Alpträumen, dass ich manchmal Angst vor dem Einschlafen hatte. Dabei wusste ich, dass ich mich schneller erholen würde, wenn ich in der Lage wäre, mich wirklich auszuruhen.
    »Was würde Ihnen das Einschlafen erleichtern?« fragte mich der Psychologe bei seinem nächsten Besuch.
    »Wenn ich mich nicht mehr so hilflos fühlen müsste. Ich weiß, dass ich Coolis nicht schließen kann. Ich kann keins der Gefängnisse in Amerika ändern. Die Frauen, die dort landen, werden auch weiterhin diese Demütigungen über sich ergehen lassen müssen, die ständige sexuelle Belästigung und die Vergewaltigungen. Das Gesetz macht es einer Frau fast unmöglich, eine Beschwerde einzureichen, und selbst wenn sie es tut, haben die Aufseher so große Macht, dass sie sie irgendwann zum Schweigen bringen.«
    Freeman hatte für mich Klage erhoben - zum einen gegen die Chicagoer Polizei wegen der Gewalt, die David Lemour mir körperlich angetan hatte, und wegen des Übergriffs auf mein Büro, und zum anderen gegen das Illinois Department of Corrections wegen der Verletzungen, die mir dort zugefügt worden waren. Bryant Vishnikov war damit beschäftigt, sich die Operationsbilder von meinen Verletzungen anzusehen, und meinte, vielleicht sogar nachweisen zu können, dass sie von einer bestimmten Art Stiefel stammten. Zum Beispiel von denen, die Hartigan draußen in Coolis trug.
    »Aber diese Fälle werden jahrelang von den Gerichten verhandelt werden«, sagte ich dem Psychologen des Berman-Instituts. »Bis dahin bin ich vielleicht gar nicht mehr im Beruf und zu abgebrannt, als dass mir irgendeine finanzielle Entschädigung noch helfen könnte. Ich möchte, dass Robert Baladine jetzt zahlen muss für das, was er mir angetan hat. Ich will, dass Lemour vom Polizeidienst suspendiert wird, und ich will, dass die Sache mit Baladine an die Öffentlichkeit kommt. Ich muss sicher sein, dass er mich nie wieder belästigt, wenn ich weiter meinen Beruf ausüben möchte.« Miss Ruby hatte mir gesagt, ich solle aufpassen, dass ich mir an meinen Rachegelüsten nicht die Zähne ausbiss, aber ich hatte das Gefühl, wenn ich nichts täte, würde mir das noch weniger bekommen.
    Der Psychologe billigte meine Wünsche nicht unbedingt: Er erklärte mir vielmehr, es würde mir helfen, mir eine Genesung aus eigener Kraft vorzustellen.
    Doch das bedeutete, dass ich erst einmal wieder körperlich fit werden musste, also begann ich, ernsthafter zu trainieren. Vier Wochen nachdem der Mann mich auf dem Expressway gefunden hatte, lief ich mit wackeligen Beinen bereits eineinhalb Kilometer, und danach wurde ich von Tag zu Tag kräftiger. Am Donnerstag vor dem Labor Day, dem Tag der Arbeit, als die El-Nino-Hitze sich endlich in erträgliche Wärme verwandelte, hatte ich das Gefühl, wieder einigermaßen auf dem Damm zu sein.

Pläne
    Ich hatte beschlossen weiterzumachen, aber in welche Richtung, wusste ich noch nicht so genau. In meine eigene Wohnung konnte ich nicht, weil Baladine mich dort sofort finden würde. Aus dem gleichen Grund schlug ich Lottys Einladung aus, zu ihr nach Hause zu kommen: Lieber ließ ich mich umbringen, als ihr Leben noch einmal in Gefahr zu bringen.
    Morrell schließlich meinte, ich solle doch eine Woche oder zwei bei Vater Lou verbringen. Ich fragte ihn immer wieder, ob er das auch mit Vater Lou

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