Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verschwundene Frau

Die verschwundene Frau

Titel: Die verschwundene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
Vom Netzwerk:
zu stürzen.
    Bevor ich außer Hörweite war, bekam ich noch mit, was Baladine sagte: »Hat deine Schwester etwas von einem Besuch bei Robbie in Camp Muggerton am Freitag erwähnt? Major Enderby hat mich angerufen, um mir zu sagen, dass Tante Claudia den Jungen zum Essen ausgeführt und ihn erst spät abends wieder zurückgebracht hat.«
    Mir wurde ein wenig flau im Magen. Dass der Lagerleiter sogar den Besuch einer Verwandten überprüfen würde, hatte ich nicht gedacht. Das bedeutete, dass ich so schnell wie möglich vorgehen musste.
    Ich huschte am Medienzelt vorbei in die Küche, zu der Toilette, weil die Toilette, die wir Presseleute benutzen durften, sich dahinter befand. In der Küche spülte das Kinder- und Hausmädchen Rosario gerade Gläser ab, während der Partyservice riesige Platten mit Shrimps, Pilztörtchen und anderen Leckerbissen anrichtete. Mir fiel die Küche in Coolis ein, wo Kakerlaken über altes eingetrocknetes Fett krabbelten und die Frauen einander beschimpften, während sie die riesigen zerbeulten Töpfe hin und her hievten, und wieder stieg Zorn in mir auf. Als ein Kellner mir ein Tablett mit Lachstatar, in der Mitte ein Häubchen aus Kaviar, anbot, schickte ich ihn mit einer ziemlich unhöflichen Geste weg.
    Die Toilette befand sieh neben einer Schwingtür zum eigentlichen Haus. Ich drückte dagegen - man konnte sich ja mal irren -, und schon tauchte ein Wachmann von Carnifice auf. Er sah meinen grünen Presseanstecker und sagte: »Die Gäste dürfen leider nicht ins Haus, Ma'am. Wenn Sie die Toilette suchen - die ist gleich nebenan. Wollen Sie nicht zur Pressekonferenz? Die beginnt in zwei Minuten.«
    Ich murmelte eine Entschuldigung und schlüpfte in die Toilette. Das erste Wettschwimmen der Kleinsten, an dem auch die jüngste Tochter von Baladine teilnehmen würde, fand unmittelbar nach der Pressekonferenz statt. Das würden sich Eleanor und BB nich t entgehen lassen. Das hatte zumindest Robbie gemeint: »Sie werden beide sehen wollen, wie die Mädchen alle anderen schlagen, und falls sie verlieren sollten, werden sie ihnen sagen, was sie falsch gemacht haben. Sowas lieben sie.«
    Das hatte er mir am Freitag abend beim Essen gesagt. Als er mit schleppenden Schritten und gesenktem Kopf den Besucherraum in Camp Muggerton betreten hatte, war mir wieder Coolis in den Sinn gekommen. Doch als er mich gesehen hatte, war sein Gesicht fröhlicher geworden.
    Ich hatte Angst gehabt, dass er mich in seiner Überraschung verraten könnte, doch nach einem Augenblick der Verwirrung hatte er gesagt: »Ich dachte... ach, du bist's, Tante Claudia.«
    Bei Hühnchen und Kartoffelbrei in einem Diner in Columbia hatte er mich angebettelt, ihn mitzunehmen. Natürlich hätte ich das gern getan, aber ich hatte ihm sagen müssen, dass ich seinem Vater damit nur wirklichen Grund für eine Anklage wegen Entführung geben und möglicherweise nicht mehr freikommen würde.
    Daraufhin hatte er zu weinen angefangen und sich zwischendurch immer wieder dafür entschuldigt, aber Camp Muggerton sei schrecklich, er mache alles falsch, er sei bei allen Übungen immer der letzte. Und außerdem müsse er strenge Diät halten, ob ich das wisse?
    Natürlich wusste ich das - Major Enderby hatte mir das eigens gesagt, als ich mir in seinem Büro einen Besucherausweis hatte ausstellen lassen. Der Major hatte sich gefreut, dass eine Angehörige von Robbie zu Besuch kam: Die meisten Jungen verbrachten das Wochenende zu Hause, und der kleine Robert fühlte sich einsam in dem Lager, aber Commander und Mrs. Baladine hielten es für besser, ihn nicht durch die große Party in Versuchung zu führen. Ich hatte dem Major ein strahlendes Lächeln geschenkt und ernst genickt, als er mir erklärte, Robbie dürfe keinerlei Fett ode r Süßigkeiten zu sich nehmen - also weder Big Macs noch Milchshakes.
    Ich hatte daraufhin gesagt, Robbies Gewicht mache der ganzen Familie Sorgen, und alle fragten sich, wieso er zur Fettleibigkeit neige. Von meiner Schwester und unserer Seite der Familie habe er das sicher nicht; die Mutter von Commander Baladine sei allerdings ein bisschen rundlich und ziemlich klein gewesen.
    Ich erzählte Robbie von diesem Gespräch, während ich ihm bei der Entscheidung half, ob er Karamel- oder Schokoladensauce auf seinen Eisbecher nehmen sollte. Er hatte schon etwas Gewicht verloren, und seine runden Pausbacken waren einem hungrigen Blick gewichen.
    »Sie haben auch abgenommen, Ms. Warshawski. Kommt das daher, dass Sie im

Weitere Kostenlose Bücher