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Die verschwundene Frau

Die verschwundene Frau

Titel: Die verschwundene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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bewahrte Baladine weitere Videokassetten auf. Nach seinem Gerangel mit Alex interessierte es mich sehr, was sich auf den anderen Tapes befand. Ich wählte eines aus dem letzten Monat aus, in dem Nicola bei den Baladines gearbeitet hatte, und eines aus der Zeit sechs Monate zuvor. Ich zog die Etiketten von den beide n Kassetten ab, klebte sie auf die leeren, die ich mitgebracht hatte, und stellte diese in die Lücke, die die anderen hinterlassen hatten.
    Ich war bereits auf halber Höhe des Flurs, als mir Frenada einfiel. Hektisch rechnete ich zurück. Obwohl ich kein drittes leeres Tape dabeihatte, das ich aufs Regal hätte stellen können, rannte ich ins Arbeitszimmer zurück und holte die Kassette von zwei Wochen vor dem Vierten Juli. Als ich den Raum das zweite Mal verließ, dachte ich auch daran, Baladines Videokamera wieder einzuschalten. Dann hastete ich den Flur und schließlich die Treppe zur Küche hinunter. In Rosarios Zimmer blieb ich kurz vor der Heiligen Jungfrau von Guadeloupe stehen, um mich bei ihr zu bedanken.
    Ich hatte mich neunzig Minuten lang im Obergeschoß aufgehalten -mir war es noch länger vorgekommen. Jetzt schlüpfte ich ins Freie und lief die Auffahrt hinunter, ohne dass irgend jemand mich aufgehalten hätte. Morrell wartete an der nächsten Biegung der Straße auf mich. Seine Gesichtszüge waren vor Sorge völlig verkrampft, doch mir war so leicht ums Herz wie schon seit Monaten nicht mehr.

Auf der Flucht
    Morrell kam ziemlich früh am nächsten Morgen und brachte die Zeitungen und Cappuccino mit - Vater Lou nahm zum Frühstück süßen Tee und Schinkensandwiches zu sich und hatte weder Kaffee noch frisches Obst im Haus. Ich war bereits seit ein paar Stunden wach, als Morrell eintraf. Wahrscheinlich waren das die Nerven.
    Auch Vater Lou war schon seit einigen Stunden auf den Beinen. Er begann den Labor Day wie jeden anderen Tag mit der Messe. An jenem Morgen überraschte er mich mit der Bitte zu ministrieren, weil keins der Kinder, die das normalerweise machten, aufgetaucht war.
    Als ich ihm sagte, dass ich nicht einmal getauft war, brummte er, wenn man Haare spalten wolle, könne man das vermutlich als Hindernis interpretieren, aber ich solle ihm doch wenigstens helfen, indem ich die Lesung hielt.
    Also stand ich in der Lady Chapel der riesigen Kirche und las aus dem Buch Hiob über den Wunsch Gottes, dass die Menschen das Licht sehen. Später sprach Vater Lou Gebete für die Seelen von Lucian Frenada und Nicola Aguinaldo, für die Arbeiter von Chicago, für alle, die hart arbeiteten und wenig verdienten. Schließlich überraschte er mich durch seine Bitte um Licht für mein Unternehmen, damit ich erkennen würde, ob es gut sei. Ich musste an Miss Ruby denken, die mir gesagt hatte, dass man sich an Rachegelüsten nur die Zähne ausbeiße.
    Nach der Messe stellte ich mich vor eine hölzerne Statue der heiligen Jungfrau von Guadeloupe und argumentierte im Kopf. Suchte in Gedanken halsstarrig nach Argumenten für mein Vorhaben. Selbst wenn es Rache war: Hatte ich denn kein Recht, in dieser Stadt zu leben und zu arbeiten? Das sagte ich auch Vater Lou, als er in seiner höhlenartigen Küche Speck briet.
    Er brummte wieder: »Ich sage ja auch gar nicht, dass Sie nicht recht haben. Die andere Wange hinzuhalten ist nicht der einzige Rat, den der Herr uns gibt. Ich möchte Sie bloß daran erinnern, dass Sie nicht der Allmächtige sind und über Robert Baladine Gericht halten können. Das war allerdings nicht der Grund, warum ich Sie gebeten habe, die Lesung zu übernehmen. Ich wollte Ihnen keine Lektion erteilen, sondern bloß ein bisschen Gesellschaft haben.« Er lachte. »Die Kirche ist ziemlich groß und kalt, wenn man die Messe allein halten muss.«
    Morrells Eintreffen unterbrach unsere kurze theologische Diskussion. Er warf einen Stapel von Zeitungen vor mir auf den Tisch.
    »Volltreffer, Warshawski. Alle drei Chicagoer Tagesblätter und dann noch der absolute Knüller aus New York.«
    Ich nahm die Zeitungen in die Hand. Der Knüller lag obenauf:
    VERWIRRUNG BEI CARNIFICE SECURITY
    Oak Brook, Ill. - Die sonst für Illinois so typische Prärie ist in dieser Gegend der Reichen glatten Böden und kühlem weißem Marmor gewichen, aber im Büroturm von Carnifice war das Leben am gestrigen Labor Day alles andere als ruhig. Robert Baladine widerspricht aufs heftigste einer E-Mail-Nachricht an die Kunden von Carnifice, in der er seinen Rücktritt als Leiter von Carnifice Security bekanntgibt.

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