Die verschwundene Frau
Labor hatte nach eigener Aussage lediglich die äußere Seite des Stoffes auf Materialien untersucht, die von einem Auto stammen konnten. Vielleicht verriet mir die innere Seite etwas darüber, wie Nicola Aguinaldo ums Leben gekommen war.
Nach einer Weile beschloss ich, tatsächlich im Labor anzurufen, aber natürlich war am Samstagnachmittag niemand da. Also blieb mir nichts anderes übrig, als mir die Nachricht auf dem Anrufbeantworter anzuhören und selbst etwas auf die Mailbox des Mannes zu sprechen, der den Bericht über meinen Trans Am unterzeichnet hatte.
Am Sonntag ging ich wieder früh am Morgen mit den Hunden schwimmen. Zu Hause erklärte ich Mr. Contreras, ich würde Peppy mit ins Büro nehmen, wo sie mir Gesellschaft leisten konnte. Ich versprach ihm, vor vier zurück zu sein, denn er, die Hunde und ich wollten zusammen mit Mary Louise und ihren Pflegesöhnen ein Picknick machen. Mary Louise und ich treffen uns normalerweise einmal pro Woche, um geschäftliche Fragen zu besprechen; diesmal hatten wir beschlossen, das Treffen mit einem Familienausflug zu kombinieren.
»In Ordnung, Schätzchen. Aber haben Sie 'ne Wasserschüssel im Büro? Unsere Prinzessin braucht zwischendurch mal was zum Trinken.«
»Natürlich. Schließlich ist mir nichts wichtiger als das Wohlergehen von Peppy. Und mein Büro ist vollklimatisiert.«
Peppy lief schwanzwedelnd die Treppe mit mir hinunter. Mitch blieb bei Mr. Contreras. Als wir das Gebäude erreichten, in dem sich mein Büro befand, rannte sie zuerst in das Atelier von Tessa Reynolds. Tessa ist Bildhauerin. Sie arbeitete gerade mit Marmor; der Staub ließ ihre kurzen Dreadlocks im grellen Licht schimmern. Sie winkte mir mit ihrem sehnigen Arm zu und kraulte kurz den Hund, war aber zu sehr in ihre Arbeit vertieft, um eine Pause zu machen.
Wenn Tessa keine Zeit für mich hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als mich ebenfalls an die Arbeit zu machen. Während ich meinen Computer hochfuhr, holte ich meine Telefonbücher heraus und begann alle Leute mit dem Namen Morrell im Stadtgebiet anzurufen. Ich redete nicht lange um den heißen Brei herum, sondern sagte sofort, was Sache war. V. I. Warshawski, Privatdetektivin, auf der Suche nach einem Mann, der sich nach Einwanderern in Uptown erkundigte. Die Hälfte der Leute, deren Nummer ich wählte, war nicht zu Hause, und die andere Hälfte hatte entweder keine Ahnung, was ich da redete, oder tat zumindest so.
»Hör auf damit, Warshawski, und beschäftige dich endlich mit den Sachen, die du wirklich erledigen musst«, murmelte ich und steckte eine CD-Rom mit den Telefonnummern und Adressen von Georgia in den Computer. Telefonnummern zu überprüfen war hirnlose Arbeit, meine Gedanken wanderten immer wieder zurück zu Nicola Aguinaldo. Baladine hatte gesagt, sie habe vorgegeben, krank zu sein, um in die Krankenstation zu kommen. Mary Louise hatte mir erzählt, im Gefängnisbericht sei die Rede von einer Eierstockzyste gewesen. Wusste Baladine, dass es eine solche Zyste nicht gab? Oder dass der Bericht eine Fälschung war? Als ich noch als Pflichtverteidigerin gearbeitet hatte, waren meine Mandanten normalerweise nicht ausreichend medizinisch versorgt worden. Ein Mann, dessen Tumor aufs Zwerchfell drückte, beispielsweise, war in Einzelhaft gestorben, weil er zu laut um Hilfe gerufen hatte. Es fiel nur schwer zu glauben, dass die Häftlinge in Coolis menschlicher behandelt wurden und dass es Nicola Aguinaldo gelungen war, eine Krankheit vorzutäuschen. Und wie hatte sie es nach ihrer Flucht so schnell nach Chicago geschafft?
Ich legte meine Notizen über Georgia weg und ging in den Schrank, um meine Landkarten von Illinois herauszuholen. Peppy, die unter dem Tisch lag, hob den Kopf, um zu sehen, ob ich vorhatte, das Büro zu verlassen. Sie senkte ihn wieder, als ich an meinen Schreibtisch zurückkehrte.
Das Krankenhaus von Coolis befand sich am nordwestlichen Ende der Stadt, dem Ende, wo auch das Gefängnis war, dem Teil, der am schnellsten wuchs. Wenn Nicola Aguinaldo in einem Liefer- oder Wäschereiwagen geflohen war, hätte dieser die Straße für die Zulieferer genommen, die dem Smallpox Creek folgte. Ich sah durch mein Vergrößerungsglas, um die Details besser zu erkennen. Wenn sie von dem Wagen gesprungen war, bevor er die Stadtmitte erreicht hatte, hatte sie nicht sonderlich viele Möglichkeiten gehabt - sie hätte zu Fuß am Smallpox Creek entlang in nördlicher Richtung bis zum Lake Galena gehen oder versuchen
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