Die verschwundene Lady (German Edition)
Beziehungen zu anderen Frauen?«
»Da bin ich überfragt. Bekannt ist mir nichts. Doch bei einem vitalen, gutaussehenden Mann wie Lord Henry, dessen Ehe mit Lady Kitty wohl nur noch auf dem Papier steht, würde ich keine eheliche Treue erwarten.«
»Hat er derzeit eine Affäre?«
»Worauf wollen Sie denn hinaus ?«, fragte Mrs. Cooper mit gerunzelter Stirn, die sich jedoch gleich glättete. Begierig fragte sie: »Ist Ihnen da etwas bekannt? Sind Sie vielleicht gar nicht so uninformiert und naiv, wie Sie vorgeben?«
Jetzt galt es, Farbe zu bekennen, obwohl Anne die Zusammenhänge natürlich nicht aufdecken durfte. Sie holte ein Foto von ihrer Mutter hervor und zeigte es Mrs. Cooper.
»Laut Informationen unseres Blattes ist das die Geliebte von Lord Henry. Ich muss Sie jedoch um die strikteste Diskretion bitten.«
Selbst wenn Mrs. Cooper sich nicht daran hielt, konnte nicht viel geschehen. Falls es eine harmlose Erklärung für das mysteriöse Verschwinden von Annes Mutter gab, brauchte sich das Liebespaar nur weiter vorzusehen wie bisher. Dann konnte Lady Kitty, wenn die Scheidung lief, nichts wollen.
Zu Annes Befremden und auch Missfallen lachte Mrs. Cooper laut auf.
»Was, in dieses Muttchen soll sich Lord Henry verliebt haben? Entschuldigen Sie, wenn ich das so sage. Das ist absolut nicht sein Typ. Das ist ja ein Hausmütterchen oder eine trauernde Witwe.«
Anne hatte ein Foto von ihrer Mutter gezeigt, bevor ihre geheimnisvolle Affäre begonnen hatte. Seitdem kleidete sich Mrs. Carmichael jugendlicher, hatte sich eine andere, modernere Frisur z ugelegt und war auch in ihrem Wesen verändert. Vorher hatte sie sich, über dessen Tod hinaus, nach Annes Vater gerichtet, der fünfzehn Jahre älter als sie gewesen war.
Trotzdem war Anne verstimmt. Für sie hatte ihre Mutter nie modisch zu erscheinen brauchen. Ihr war sie immer so recht gewesen, wie sie war.
»Das ist doch kein Hausmütterchentyp !«, sagte Anne.
Sie betrachtete das Foto nun selber kritischer und stellte fest, dass ihre Mutter unvorteilhaft darauf aussah.
»Nun ja, jedenfalls nicht das, worauf Lord Henry meines Erachtens fliegen würde. Diese Frau - zeigen Sie mir noch einmal das Bild - ist vom Typ her der Lady Kitty konträr entgegengesetzt.«
»Vielleicht hat genau das den Lord für sie eingenommen.«
»Das wäre natürlich möglich. Wer ist diese Lady denn? Eine Adlige?«
»Wir wissen noch nichts Genaues«, schwindelte Anne und ließ das Bild wieder verschwinden. Sie war bloß froh, dass ihre Mutter Mrs. Coopers Kommentare nicht gehört hatte. Hausbacken oder Hausmütterchen! Mrs. Carmichael wäre tödlich beleidigt gewesen. »Es war nur eine Frage, ob Sie die Lady kennen.«
»Absolut nicht.«
»Sie haben mir sehr geholfen, Mistress Cooper.«
Anne wollte aufstehen. Doch die Hotelbesitzerin hielt sie zurück.
»Einen Moment noch. So leicht kommen Sie mir nicht davon. Ich habe Ihnen Auskünfte gegeben. Jetzt will ich auch etwas hören. Wer ist diese Frau, die Lord Henrys Geliebte sein soll?«
Mrs. Cooper brannte förmlich vor Begierde, das herauszufinden. Es wäre für sie und ihre Freundinnen die größte Sensation gewesen. Anne lächelte fein.
»Das müssen wir selbst noch herausfinden. Aber >Woman's weekly« verfolgt eine ganz heiße Spur. Wenn wir es wissen, werden Sie es erfahren.«
»Versprechen Sie mir das?«
»Ich verspreche, Sie einzuweihen, sobald ich die Zusammenhänge kenne und es verantworten kann.«
Anne würde ihr Wort halten und der Hotelbesitzerin zu gegebener Zeit mitteilen, wie es sich verhielt. Sie hätte den leichteren Weg gehen und einfach lügen können. Doch das mochte sie nicht.
»Sie sind sicher, dass Lord Henry morgen zurückkehrt ?«, fragte Anne.
»Soweit ich weiß, ja. In Kensington Castle wird jedenfalls alles für seine Ankunft vorbereitet. Beschwören kann ich es natürlich nicht, denn ich bin keine Hellseherin.«
»Danke, Mistress Cooper, für Ihre Freundlichkeit, die Auskünfte und für Tee und Gebäck.«
Anne verabschiedete sich und verließ die Wohnung der Hotelbesitzerin. Von ihrem Zimmer aus rief sie in Peter Stanwells Kanzlei an und kam mit ihm überein, dass er am nächsten Tag nach Walton-on-Thames kommen würde. Sie wollten zusammen Sir Henry aufsuchen und ihn zur Rede stellen.
Wenn alles mit rechten Dingen zugeht, dann wird er mich einweihen und zugeben, der Geliebte meiner Mutter zu sein, sagte sich Anne. Doch in ihrem Hinterkopf schlug fortwährend eine Alarmglocke an. Die junge
Weitere Kostenlose Bücher