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Die Verstummten: Thriller (German Edition)

Die Verstummten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Verstummten: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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Vorbild?«
    »Doch, genau deswegen. Wer trottet gerne den Spuren des Vaters hinterher?« Sie seufzte. »Aber mit der Modefotografie hat’s leider nicht geklappt. Lebende waren mir einfach zu zappelig.« Sie lächelte Carina an, und in ihren Wangen bildeten sich dieselben Grübchen, die auch Vincent hatte, wenn er lachte.
    Verena vergrößerte das erste Foto mit ein paar Fingerbewegungen auf dem Tablet. »Seht ihr diese winzigen Punkte in einer Linie an der Wand?« Sie drehte den Bildschirm so, dass Carina und Peter die Aufnahme nicht kopfüber betrachten mussten. »Die sind von der Waffe weggeschleudert worden, als Jakob Loos in die Stirn geschossen wurde. Aber das hier ist auch für dich interessant, Carina.« Verena zog das nächste Foto auf dem Bildschirm heran. Eine Nahaufnahme von der Kopfseite des Bettes. »Diese feinen eingetrockneten Blasenringe hier.« Sie markierte die Stellen auf dem Foto von der Kopfseite des Doppelbettes.
    Carina betrachtete das Spritzmuster genauer. Wie Regentropfen, die eine Fensterscheibe streiften.
    Verena tippte auf runde Flecke zwischen all den Strichen. »Olivia muss noch einige Augenblicke gelebt haben. Das hier ist ausgeatmetes Blut.«

36.
    Neumaising, Mai 1992
    Barfuß auf einer Harley-Davidson umklammerte Iris den Fremden. Sie war in seine Lederjacke gehüllt, die er wie eine große Schachtel über sie gestülpt hatte. Sie reichte ihr bis zu den Ohren und links und rechts weit über die Schultern. Das Laken hatte sie zwischen den Beinen zusammengeknüllt und sich daraufgehockt, es linderte ihre Schmerzen und das Wundheitsgefühl. Und wenn es der Teufel persönlich war, dachte sie und schmiegte sich an den Rücken des Fremden, sie war ohnehin gerade aus der Hölle gekrochen. Sie fuhren erst durch Dörfer, dann am Seeufer entlang. Mit geschlossenen Augen träumte sie sich weg, und als sie sie wieder öffnete, hatte sich der See in einen Fluss verwandelt. Die Isar. Dann fuhren sie ein paar Serpentinen hinauf bis nach Grünwald, einen Vorort von München. Dort parkte er seine Maschine vor einem Laden, dessen Schaufenster verhängt waren. Er half ihr beim Absteigen und führte sie in einen Kühlraum, in dem ein Seziertisch stand. Sie schlotterte.
    Als er den Helm abnahm, kam ein alter Mann zum Vorschein. Nietenhalsband, Nierengurt und Motorradstiefel, um seine Unterarme wanden sich tätowierte Schlangen. Er kratzte sich über die weißen Stoppelhaare, die sein Gesicht und seinen Schädel in gleicher Länge bedeckten. »In der Wanne kannst du dich waschen, wenn du willst.« Er öffnete einen Metallschrank; in kleinen Stapeln lagen Klamotten darin, manche mit Bändern und Schleifen darum. »Such dir was aus. Die Angehörigen bringen immer was, aber eigentlich darf ich die Toten nicht mehr in ihren eigenen Sachen bestatten. Ich bin Edgar, und du?«
    Sie schwieg.
    »Dann nenn ich dich Gloria, wie die von Thurn und Taxis, die fährt nämlich auch eine Harley.« Er lächelte kurz und ließ sie allein.
    Sie fand Wollsocken und einen Jogginganzug; der war neu, warm und weich und roch leicht süßlich wie alles in Edgars Totenhaus. Bestattungen Schwalbe hatte sie vor dem Eingang in Eichenholz geschnitzt gelesen. Wenig später lag sie mit einer Wärmflasche unter Decken auf einer Gartenliege, die er in seinem Büro neben dem Kühlraum aufgestellt hatte.
    Er gab ihr Schmerztabletten; er wollte sie erst mal ein paar Stunden schlafen lassen und morgen mit Frühstück zurück sein. »Falls du Geräusche hörst, das sind nicht die Toten, keine Angst, wir haben gerade keine hier.« Er lachte und entblößte schneeweiße Zähne. »Das ist höchstens mein Sohn oder einer der anderen Mitarbeiter.«
    Sie sank in den Schlaf, schreckte auf, dämmerte wieder weg, hörte mal Getuschel, mal Telefonklingeln. Als sie schließlich richtig aufwachte, wusste sie zunächst nicht, wie spät oder welcher Tag es war, erinnerte sich an nichts. Erst als sie einen Druck auf der Blase und zugleich einen stechenden Schmerz spürte, prasselte alles wieder auf sie ein. »Ich muss weg«, sagte sie laut, kletterte von der Liege, schwankte, stützte sich am Schreibtisch ab.
    »Mach lieber langsam«, erwiderte ein Mann, der neben ihr am Schreibtisch Blätter abheftete. Erst glaubte sie, sie sei im Pullacher BND -Büro, nur was tat sie da in einem Bundeswehrjogginganzug auf einer gelben Liege? Dann erkannte sie Edgar, der seine Lederklamotten gegen einen geschniegelten Anzug mit Krawatte getauscht hatte. »Hast du Hunger?«,

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