Die Versuchung der Hoffnung
ganz pragmatisch. Und Valerie scheint das ähnlich zu sehen, denn in diesem Moment beginnt sie freudig zu kreischen, reißt mich zu sich herum und fällt mir um den Hals.
„Hope, du hast heute ein Date mit John Petterson! Scheiße, der ist der heißeste Kerl weit und breit hier und du hast ein Date mit ihm!“
Um ganz ehrlich zu sein, erstaunt mich das mindestens ebenso sehr wie sie. Auch damit, dass John wirklich heiß ist, muss ich ihr recht geben. Allerdings hätte ich in dieser Angelegenheit trotzdem ganz gern ein bisschen Mitspracherecht gehabt.
„Ob er wohl seine Gitarre mitbringt und für uns singt? Ich habe ihn noch nie singen hören!“
Ich schon!
Aber das verrate ich ihr nicht. Sie muss ja nicht immer alles wissen.
„Hi, Mom!“ Meine Mutter steht schon in der geöffneten Haustür, als ich bei Val aus dem Auto steige, die Arme verschränkt, und blickt vorwurfsvoll drein.
„Hope. Schön, dass du dich auch mal wieder blicken lässt!“
Ich verdrehe die Augen und erst, als es schon zu spät ist, fällt mir ein, dass wir nicht telefonieren, sondern dass sie direkt vor mir steht. Und es sehen kann.
Mist!
„Junges Fräulein, ich möchte doch um etwas mehr Respekt bitten!“
Es ist komisch, dass sie es schafft, ganz leise zu sprechen und trotzdem so eindringlich zu sein, dass ich mich fühle wie ein kleines Mädchen, dem man gerade eine Ohrfeige verpasst hat. Fast wäre ich sogar zusammengezuckt.
„Es tut mit leid, Mom“, murmle ich und höre mich jetzt auch so an wie ein kleines Mädchen, dem man eine Ohrfeige verpasst hat.
Zu Hause ist es traurig und anstrengend. Mikes schlechter Zustand ist für keinen von uns einfach, am wenigsten für ihn selbst. Zusehen zu müssen, wie jemand, den man liebt, immer weniger wird und nicht zu wissen, ob es eine Rettung für ihn geben wird, ist wirklich heftig. Seit einem halben Jahr muss er dreimal in der Woche zur Dialyse, was anstrengend und zeitraubend ist. Wenn er von dort wiederkommt, ist er meist völlig erledigt und schläft anschließend den halben Tag. So wie beinah immer, wenn er doch mal etwas unternommen hat. Am Tag nach der Dialyse geht es ihm dann halbwegs gut, am nächsten Tag schon wieder weniger, weil es sein Körper einfach nicht mehr schafft, die Schadstoffe aus seinem Blut herauszufiltern. Und dann muss er schon wieder zur nächsten Dialyse und alles geht von vorne los. Langfristig wird ihn nur eine Spenderniere retten können, aber bis er eine bekommt, kann es eine ganze Weile dauern. Jahre.
Meine Eltern und ich haben uns schon testen lassen, als es vor über einem Jahr anfing, Mike immer schlechter zu gehen. Mein Dad und ich haben die falsche Blutgruppe, bei den Tests kam es zu Kreuzreaktionen. Meine Mom hat durch einen Autounfall, den sie als Kind hatte, selbst nur noch eine Niere, auch sie kann deshalb nicht spenden.
Als mein vierundzwanzigjähriger Bruder krank wurde, musste er sein Studium abbrechen und wieder bei unseren Eltern einziehen. Und während er früher sportlich war, immer aktiv und voller Energie, bewegt er sich jetzt wie ein alter Mann. Und eigentlich führt er auch das Leben eines alten Mannes. Sein Leben wird sich erst dann wieder bessern, wenn jemand mit den passenden Werten stirbt und ihm ein Organ spendet. Da ist es ja beinah schon pervers zu hoffen, dass er möglichst schnell eine neue Niere bekommt. Denn was ihm letztendlich das Leben retten wird, wird für einen anderen Menschen den Tod bedeuten. Und für eine andere Familie eine Tragödie darstellen.
Eine Weile setze ich mich zu ihm ins Zimmer und wir unterhalten uns ein bisschen, aber er wird schnell müde. Den Rest des Tages verbringe ich vor dem Fernseher, weil meine Mutter mit irgendwelchen Telefonaten beschäftigt ist, während mein Vater die Garage aufräumt.
Obwohl meine Eltern mich den halben Tag kaum beachtet haben, sind sie trotzdem nicht gerade begeistert, als ich abends verkünde, dass ich gleich wieder verschwinden und auch nicht über Nacht zu Hause bleiben werde.
Meine Familie hat schon immer sehr eng zusammengehalten. Als Kind fand ich das total toll, wir waren alle immer füreinander da, haben unsere freie Zeit fast ausschließlich gemeinsam als Familie verbracht. Nicht so wie bei manchen anderen, wo alle nur so nebeneinander herlebten. Andererseits waren meine Eltern immer sehr streng mit uns. Vor allem meine Mom war immer sehr dominant und hat stark über uns bestimmt. Je älter Mike und ich wurden, desto schwieriger wurde es. Und
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