Die Versuchung der Hoffnung
Zeit später suche ich meine letzten Klamotten zusammen und ziehe seine Wohnungstür hinter mir zu.
Bis zum Studentenwohnheim ist es nicht sehr weit, zu Fuß sind es ungefähr zwanzig Minuten.
Ich genieße die frische, kalte Luft und den kurzen Spaziergang, obwohl mir das Laufen immer noch etwas Schwierigkeiten bereitet. Unterwegs versuche ich meine Gedanken zu sortieren, suche nach einem Gefühl der Reue, das ich für heute erwartet hätte, aber zu meinem eigenen Erstaunen bereue ich nichts, wirklich gar nichts.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich den ganzen Weg bis zum Wohnheim breit und zufrieden grinse. Es kommt mir so vor, als hätte ich ein großes, waghalsiges Abenteuer hinter mir und kehre nun wie eine Heldin nach Hause zurück.
Natürlich ist das irgendwie albern. Für manche Frauen ist es bestimmt ein ganz normaler Punkt auf der Liste ihrer Wochenendplanung, mit einem mehr oder weniger Fremden ins Bett zu hüpfen. Aber für mich ist es das nicht.
Wie es einer Heldin gebührt, wartet schon eine jubelnde Menschenmenge auf mich, als ich an meinem Zimmer ankomme.
Okay, ich gebe es zu: Es ist nur Valerie. Und jubeln tut sie auch nicht. Jedoch grinst sie zumindest. Und sie wartet auf mich.
Als sie mich kommen sieht, rappelt sie sich vom Fußboden hoch, auf dem sie es sich bequem gemacht hatte, und umarmt mich.
„Du brauchst dringend eine Dusche!“, ist das Erste, was sie sagt, als sie mich naserümpfend wieder loslässt.
Nette Begrüßung.
„Du bist sehr charmant!“
„Jaja, das bin ich doch immer.“ Sie zwinkert mir zu, während sie sich an mir vorbei in mein Zimmer drängt, nachdem ich es aufgeschlossen habe. Als sie sich auf mein Bett wirft, während ich mir frische Kleidung aus meinem Schrank nehme und dann ins Badezimmer laufe, habe ich beinah das Gefühl, ein Déjà-vu zu haben.
Val und ich verbringen den restlichen Tag miteinander. Wir tauschen uns über unsere gestrigen Dates aus, wobei es zwischen Valerie und Frank zwar nett gewesen sein muss, der Funke aber nicht übergesprungen ist. Abends gehen wir Hamburger essen und unterhalten uns dabei über alles Mögliche. Wir diskutieren über den frühen Wintereinbruch, reden über die hinter uns liegenden Prüfungen, regen uns über Spam-SMS auf, die wir beide ständig bekommen, lästern über Vivian Anni und sprechen über meinen Bruder. Als ich später endlich im Bett liege, muss ich der kurzen, letzten Nacht ihren Tribut zollen und bin beinah sofort eingeschlafen. Trotz meiner Erschöpfung schleicht sich John noch ungefragt in meine Gedanken, als ich in den Schlaf sinke. Genau wie es ihm schon zig Mal zuvor an diesem Tag gelungen ist.
Montagmorgen fühle ich mich wie gerädert. Es hilft aber alles nichts, ich habe einen langen, anstrengenden Tag vor mir.
Jede Menge Seminare und ab dem späten Nachmittag wartet wieder die Arbeit in der Bibliothek auf mich.
Ursprünglich wollte ich die Stunden dort deutlich reduzieren, aber durch Mikes Erkrankung haben meine Eltern noch weniger Geld zur Verfügung als vorher und ich will ihnen nicht auf der Tasche liegen. Außerdem will ich mir wenigstens ab und an mal ein paar Extras wie schöne Kleidung oder eine Pizza mit Val beim Italiener um die Ecke leisten können. Obendrein ist die Arbeit in der Bibliothek meistens recht entspannt und oft komme ich sogar nebenher zum Lernen. Oder zum Lesen. Auch wenn es mir manchmal ein wenig zu viel ist, komme ich eigentlich gern hierher.
Heute ist viel zu tun. Ich sortiere Bücher ein, helfe ein paar Studenten dabei, welche zu finden und kontrolliere die Regale, um falsch zurückgestellte Bücher aufzuspüren. Auch wenn über jedem zweiten Regal ein großes Schild mit der Aufschrift „Ein verstelltes Buch ist ein verlorenes Buch“ prangt, werden trotzdem immer wieder Bücher achtlos irgendwo ins Regal gestellt. Wer schaut auch schon nach oben, bevor er ein Buch zurückstellt? Niemand vermutlich.
Tatsächlich aber findet man falsch einsortierte Bücher leider nur noch per Zufall wieder. Deshalb gehen wir, wenn ein bisschen Zeit übrig ist, immer mal wieder durch die Regalreihen und suchen danach. So tauchen zumindest ein paar der verschollenen Schätzchen ab und an wieder auf.
Auch wenn ich das nicht möchte, muss ich zwischendrin immer mal wieder an John denken. Ich versuche zwar, die Gedanken an ihn möglichst gleich wieder von mir wegzuschieben, das ist jedoch gar nicht so einfach.
Bei meiner schlauen Berechnung der Vor- und Nachteile eines
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