Die Versuchung der Hoffnung
gefahren und haben uns dort über den selbst gemachten Eierpunsch ihrer Mutter hergemacht. Als ich später zu meinen Eltern gegangen bin, war ich schon halb betrunken und hatte, als wir am 24. Dezember den Weihnachtsbaum schmückten, einen entsetzlichen Kater.
Val singt wieder mit, ziemlich laut und eigentlich ziemlich gut und ich setze, etwas zögerlich und ganz schön schief, irgendwann doch noch mit ein.
Weil ich dieses Jahr versprochen habe, pünktlich zu Hause zu sein, um nach meinem Bruder zu schauen, während meine Eltern die letzten Weihnachtseinkäufe erledigen, muss der Eierpunsch bei Val dieses Jahr allerdings ausfallen. Meine Mutter lässt meinen Bruder nicht mehr allein zu Hause, weil sie Sorge hat, dass er plötzlich Hilfe brauchen könnte. Ich kann ihre Sorge verstehen, aber ich glaube, für meinen Bruder ist es manchmal ziemlich schwer. Nicht nur, dass er ständig auf Hilfe angewiesen ist, zum Arzt gefahren werden muss, nicht mehr zur Uni gehen kann, kaum noch Freunde hat und ständig kränker und kränker wird. Meine Mutter besteht darauf, ihn rund um die Uhr von Familienmitgliedern beaufsichtigen zu lassen, als wäre er ein Kleinkind und kein erwachsener Mann von vierundzwanzig Jahren. Das alles muss schrecklich für ihn sein. Es ist ja für uns schon schlimm. Für ihn muss es noch viel, viel schlimmer sein. Trotzdem hat er immer gute Laune und beschwert sich nie, was ich wirklich bewundere.
Zu Hause angekommen, begrüße ich kurz meine Eltern, die schon hektisch dabei sind, Einkaufslisten zu schreiben, damit sie bloß nichts vergessen. Ich gehe in Mikes Zimmer, das nach der hektischen Küche einer Oase der Ruhe gleicht.
„Hallo, Mike!“
Er sitzt auf dem Bett und liest in irgendeiner Zeitschrift, die er sinken lässt, als ich reinkomme.
„Hallo, Cookie!“
Er rutscht ein bisschen zur Seite, sodass ich mich neben ihn setzen kann, was ich dankbar annehme.
„Brauchst du ein bisschen Asyl, bis die beiden das Haus verlassen haben?“
„Du kennst mich einfach zu gut.“
Er zwinkert mir zu und reicht mir die Fernbedienung, bevor er sich wieder seiner Zeitschrift widmet.
Am nächsten Tag bin ich in Gedanken permanent bei Jonathan.
Es passt mir gar nicht, dass er heute irgendwo ein Konzert gibt, statt schön und besinnlich Weihnachten zu feiern. Außerdem, auch wenn das selbstsüchtig sein mag, hätte ich Weihnachten gern mit ihm zusammen verbracht, einfach nur deshalb, weil ich das schön für mich gefunden hätte. Er fehlt mir.
Wie in meiner Familie üblich, essen wir abends feierlich, es ist schön, aber ein bisschen langweilig. Meine Mutter ist hektisch, mein Vater ruhig, mein Bruder ist müde und ich bin traurig … und außerdem ein bisschen betrunken.
Ich starre den Weihnachtsbaum an und denke an John, der jetzt auf einer Bühne steht und singt. Und daran, dass ich viel lieber im Publikum stehen würde, als hier zu sitzen und mich mit Braten vollzustopfen. Die Stimmung am Tisch könnte deutlich besser sein und ich frage mich, was ich sonst nur immer an Weihnachten gefunden habe.
So früh wie möglich gehe ich ins Bett. Je mehr ich schlafe, desto schneller geht die Zeit vorbei und umso schneller kann ich wieder bei John sein.
Irgendwann nachts wache ich auf. Nach einem Blick auf meinen Wecker stelle ich fest, dass es erst halb zwei ist, also noch lange, lange nicht Zeit, wieder aufzustehen. Gerade habe ich mich wieder umgedreht und es mir gemütlich gemacht, als ich ein Geräusch höre. Und dann gleich noch einmal. Und noch einmal.
Da schmeißt irgendwer Steinchen gegen mein Fenster!
Mit nackten Füßen tappe ich zum Fenster und schaue hinaus. Direkt in die schalkhaft blitzenden Augen Johns.
Kapitel 18
„Was machst du denn hier?“ Ungläubig und fröstelnd stehe ich in der geöffneten Haustür, die einen ganzen Schwall winterlich kalter Luft mit ins Haus lässt.
John zieht die Augenbrauen hoch und grinst. „Im Moment? Wie ein Depp herumstehen!“
Leise lachend ziehe ich ihn ins Haus und lege einen Finger auf meine Lippen, um ihm anzudeuten, dass er so leise wir möglich sein soll. Wenn meine Eltern merken würden, dass ich einen Mann ins Haus lasse, mitten in der Nacht, bekämen sie vermutlich einen Herzinfarkt.
Zum Glück gelingt es mir, John unbemerkt in mein Zimmer zu schleusen.
„Bin gleich wieder da“, flüstere ich ihm zu und mache mich selbst schnell auf den Weg ins Bad.
Mit einem Glas Wasser und frisch geputzten Zähne kehre ich drei Minuten
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