Die Versuchung der Hoffnung
mit meinen Eltern vermieden. Weil ich ein Feigling bin, was das angeht.
Seufzend und mit einem mulmigen Gefühl im Bauch greife ich nach der Türklinke von Johns Garderobe. Bevor ich sie herunterdrücke, zögere ich einen Moment lang. Hoffentlich freut er sich, mich zu sehen und verzeiht mir, dass ich erst jetzt komme. Erneut streiche ich mein Kleid glatt und muss lächeln, als mir auffällt, dass ich es beim letzten Mal auf unserer Hochzeit getragen habe. Hoffentlich ist das ein gutes Omen!
Dann mache ich die Tür auf und gehe hinein.
Im ersten Moment denke ich, ich habe mich vielleicht in der Tür geirrt. Ich sehe den mit einem schwarzen T-Shirt bekleideten Rücken eines Mannes, der von zwei Frauenhänden gestreichelt wird, die in genau diesem Moment am Saum des Shirts nesteln, um es ihm über den Kopf zu ziehen. Aber als sie es endlich geschafft hat, kann ich seine Tattoos sehen, die Ausläufer eines dunkelgrünen Drachens, die durch seine Bewegungen aussehen, als wäre er lebendig geworden. Mit absolut widerlicher Gewissheit wird mir klar, dass ich mich nicht in der Tür geirrt habe.
Ich will mich umdrehen und einfach gehen, flüchten, die Augen fest vor dem verschließen, was hier gerade passiert. Ich will das alles gar nicht sehen. Aber mein Körper gehorcht mir nicht. Wie paralysiert bleibe ich stehen und starre die beiden an. Sie hat sich ein bisschen gedreht und ich kann jetzt erkennen, dass sie keinen BH mehr trägt und ihre nackten Brüste gegen seinen nun ebenfalls nackten Oberkörper presst. Dann wandern ihre Hände nach vorn, einen kurzen Augenblick später fällt Johns Hose herunter und bleibt an seinen Stiefeln hängen, während sich die Hände der Blondine in Johns Boxershorts schieben und seinen nackten Po umfassen.
Mir wird schlecht. Endlich gehorchen meine Beine mir wieder, sodass ich ein paar zögerliche Schritte rückwärts machen kann. Mit einem lauten Klirren schmeiße ich dabei ein Glas von der kleinen Kommode, die gleich neben der Tür steht. Das Geräusch schreckt John und seinen Groupie auf und sie drehen sich beide zu mir um.
John sieht mich an und ich erkenne Verwunderung in seinem Blick, die sich dann zu Erschrecken, Erkenntnis und so etwas wie Schmerz zu wandeln scheint. Bevor ich mich abwende, um kommentarlos wegzulaufen, erhasche ich einen Blick auf Johns nette Gespielin. Und blicke in die triumphierenden, babyblauen Augen von Vivian Anni.
Kapitel 27
Irgendwie schaffe ich es, die Straße zu erreichen, bevor John mich eingeholt hat.
Er musste sich ja auch erst mal wieder anziehen!
Der Gedanke schmeckt mehr als bitter.
Er ruft mich und sucht mich, aber ich will ihn nicht sehen. Ich verstecke mich wie ein Feigling in einem dunklen Hauseingang, damit er mich nicht sieht. Mein ganzer Körper zittert und mein Herzschlag dröhnt in meinen Ohren, aber ich halte einfach still und warte, bis John mich endlich nicht mehr ruft. Und obwohl ich darauf ja eigentlich gewartet habe, fühlt es sich nun endgültig und furchtbar an. Fast würde ich mir wünschen, er würde mich doch wieder rufen, aber nichts dergleichen passiert. Die Stille um mich herum ist so endgültig, dass sich meine Kehle und mein Magen wie zugeschnürt anfühlen. Aber es ist mir egal. Alles ist mir gerade egal. Ich will nach Hause und vergessen, was ich gesehen habe. Es aus meinem Kopf verbannen und nie wieder daran denken müssen. Und ich will John nie mehr wiedersehen.
Aber weiß ich ganz genau, dass ich eben diese Bilder vor Augen haben werde, sobald ich sie schließe.
Mein Handy klingelt, ich erkenne schon am Klingelton, dass es John ist. Ich stelle es einfach ab.
Zum Glück habe ich Valeries Auto vorhin ein paar Straßen weit weg parken müssen, weil kein näherer Parkplatz mehr frei war. Die Chance, dass John es nicht entdeckt hat und ich unbehelligt einsteigen kann, ist also recht groß. Trotzdem schaue ich mich vorsichtig um, als ich mich dem Wagen nähere. Vielleicht benehme ich mich gerade entsetzlich kindisch. Aber John jetzt zu sehen, das ist im Augenblick einfach mehr, als ich ertragen kann. Ich bin so aufgewühlt, dass ich ohnehin nicht vernünftig mit ihm reden könnte. Und ich bin so wütend auf ihn, dass ich ihm am liebsten den Schädel einschlagen würde.
Die ganze Fahrt zurück nach Hause kämpfe ich gegen die Tränen. Beim Autofahren heulen zu müssen, ist der Sicherheit im Straßenverkehr nicht gerade zuträglich, das ist mir selbst in diesem Zustand klar. Tapfer reiße ich mich
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