Die Versuchung der Hoffnung
vorne losgehen wird, wenn ich jetzt nicht die Notbremse ziehe. Wenn es nicht ohnehin schon zu spät ist.
„Schlaf gut“, flüstere ich nahezu tonlos, bevor ich mich umdrehe, um in mein Schlafzimmer zu gehen.
„Du auch, meine Schöne“, antwortet er mir und benutzt dabei den Kosenamen für mich, den er früher immer verwendet hat. Um ein Haar hätte ich einen Schmerzenslaut ausgestoßen, aber irgendwie schaffe ich es, mich zusammenzunehmen und den Raum erhobenen Hauptes zu verlassen.
Mit ziemlich wackeligen Beinen lege ich die wenigen Stufen in die erste Etage zurück, um in mein Schlafzimmer zu gehen und dort angekommen von innen gegen die Tür zu sinken.
Oh verdammt!
Ich ziehe die Knie an und lege meinen plötzlich viel zu schwer erscheinenden Kopf darauf. So oft habe ich mir ausgemalt, wie es wohl wäre, John noch einmal zu begegnen. Aber dass er immer noch genau dieselbe Anziehungskraft auf mich ausübt wie früher, damit habe ich wirklich nicht gerechnet. Die ganze Situation verwirrt mich völlig. Und jagt mir eine Heidenangst ein. In meinem Kopf dröhnt alles und gleichzeitig sind all meine Empfindungen wie in Watte gepackt. Ganz langsam, beinah wie in Zeitlupe, nehme ich den Kopf von meinen Knien hoch und atme ein paar Mal tief ein und aus. Als ich das Gefühl habe, es nun wagen zu können, wieder aufzustehen, gehe ich langsam zum Bett hinüber und lege mich hin. Meine Klamotten lasse ich einfach an, gerade fehlt mir die nötige Energie, mich auszuziehen. Mit weit geöffneten Augen starre ich so lang die Wand an, bis ich das Gefühl habe, dass die zarten Streifen auf der Tapete sich zu bewegen beginnen und zurückstarren.
Der Versuch, die Augen einfach zu schließen, erweist sich ebenfalls als nicht gerade gewinnbringend, denn dann sehe ich jedes Mal den intensiven Blick von Johns Augen vor mir und die Erinnerungen an seine Berührungen sind so intensiv, als würde ich sie tatsächlich erleben.
Langsam verzweifle ich ob meiner physischen Reaktion und presse meine Oberschenkel fest zusammen, um das prickelnde, sich sehnende Gefühl in meiner Mitte vielleicht zumindest ein bisschen zu lindern. Aber auch das stellt sich ziemlich schnell als dumme Idee heraus.
Und es sind nicht nur die körperlichen Empfindungen, die mich gerade fast in den Wahnsinn treiben: Auch meine Seele sehnt sich nach John. In den Momenten, in denen ich ehrlich zu mir selbst gewesen bin, habe ich immer gewusst, dass ich nie wirklich aufgehört habe, ihn zu lieben. Ich habe lediglich aufgehört, mit ihm zusammen zu sein, weil ich keine gemeinsame Zukunft für uns gesehen habe. Aber das sind zwei grundverschiedene Dinge. Und egal, wie sehr man manchmal versucht, jemanden zu vergessen, es kann passieren, dass Kopf und Herz diesbezüglich ganz unterschiedliche Entscheidungen treffen.
Es ist nicht so, als wäre das eine neue Erkenntnis für mich. Nur auf die Heftigkeit, mit der nun alte Gefühle auf mich einstürmen, auf die war ich beim besten Willen nicht vorbereitet.
Keine Ahnung, wie lang ich im Bett liege und mich rastlos von einer Seite auf die andere werfe. Vermutlich sind es tatsächlich nur ein paar Minuten, aber mir kommt es wie eine Ewigkeit vor. Die Gefühle, die auf mich einstürmen, sind so intensiv, dass ich es einfach nicht aushalten kann und wieder aufstehe. Ich will zurück ins Wohnzimmer gehen, zurück zu John, um dann … Ja, um dann was genau zu tun? So wirklich weiß ich das nicht. Ihn kommentarlos anzustarren, vielleicht. Oder mit ihm zu reden, wenn ich denn einen klaren Satz zustande bekommen sollte. Aber egal, was ich mache, es kann sich nicht schlimmer anfühlen, als hier allein in meinem Schlafzimmer zu liegen, während er in meinem Haus ist.
Bei jedem Schritt, den ich mache, zögere ich. Die klügere Entscheidung wäre es mit Sicherheit, einfach im Bett liegen zu bleiben und so wenig Zeit wie möglich mit John zu verbringen.
‚Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um‘ besagt ein altes Sprichwort und John stellt sogar eine ziemlich große Gefahr für mich dar. Aber mein Körper scheint meine Entscheidungen gerade ohne mich zu treffen und trägt mich auf unsicheren Beinen langsam, aber unausweichlich zur Tür. Einen kurzen Moment gelingt es mir dann doch noch, innezuhalten, bevor ich sie langsam öffne. Aber der Augenblick währt nicht lang und die Tür ist offen.
Während ich mir noch überlege, wie es mir wohl gelingen soll, mit diesen furchtbar zittrigen Beinen die Treppe hinunter zu kommen, fällt
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