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Die Versuchung

Die Versuchung

Titel: Die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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zerstören und andere seelische Schäden anrichten, wie LuAnn in Illustrierten gelesen und im Fernsehen gesehen hatte. Dieser alptraumhafte Gedanke hatte LuAnn mehr Schlaf gekostet, als ihr lieb war.
    Und das war noch nicht alles. Wenn Lisa erst mal richtig aß – würde dann immer genug Essen da sein? LuAnn hatte kein Auto und mußte stets das Geld für den Bus zusammenkratzen. Wenn es nicht reichte, mußte sie zu Fuß gehen, auch im Regen. Was war, wenn Lisa krank wurde? Oder wenn sie selbst krank wurde? Wenn sie eine Zeitlang nicht arbeiten konnte? Wer würde dann für Lisa sorgen? LuAnn hatte keine Versicherungen irgendwelcher Art. Wenn Impfungen oder Untersuchungen erforderlich waren, ging sie mit Lisa zum kostenlosen Gesundheitsdienst in der Bezirksklinik, doch LuAnn selbst war seit zehn Jahren nicht mehr beim Arzt gewesen. Sie war jung und kräftig, aber das konnte sich schnell ändern. Man wußte ja nie. Beinahe mußte sie lachen, als sie sich vorstellte, wie Duane für Lisas tägliche Bedürfnisse sorgen würde. Der Kerl würde nach wenigen Minuten laut brüllend in den Wald flüchten. Nein, eigentlich war das überhaupt nicht komisch.
    Während LuAnn beobachtete, wie Lisas Mündchen sich öffnete und schloß, wurde ihr das Herz plötzlich so schwer wie einer der Sattelschlepper, die vor der Fernfahrerkneipe parkten. Ihre Tochter war vollkommen abhängig von ihr, und die traurige Wahrheit sah so aus, daß LuAnn nichts besaß. An jedem Tag ihres Lebens war sie nur einen Schritt vom Abgrund entfernt, und der Abstand wurde ständig geringer. Ein Sturz war unausweichlich. Es war nur eine Frage der Zeit. Sie dachte an Jacksons Worte. Ein Kreislauf. Ihre Mutter. Sie selbst. Duane ähnelte Benny Tyler mehr, als sie zu denken wagte. Die nächste würde Lisa sein, ihr kleiner Liebling, für den sie töten oder sich töten lassen würde – alles, was nötig war, um die Kleine zu beschützen.
    Amerika war das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Jedenfalls sagten das alle. Man mußte sich die Möglichkeiten nur erschließen. Aber man hatte vergessen, einigen Menschen den Schlüssel zu geben. Menschen wie LuAnn. Oder hatte man es gar nicht vergessen? Vielleicht war es Absicht. Wenn LuAnn tief deprimiert war – wie jetzt –, kam es ihr verdammt so vor.
    Sie schüttelte heftig den Kopf, um wieder klaren Verstand zu bekommen, und preßte die Hände zusammen. Solche Gedanken halfen ihr jetzt auch nichts. Sie nahm den Stenoblock aus der Handtasche. Was sie in der Bibliothek entdeckt hatte, hatte sie ungeheuer fasziniert.
    Sechs Lotteriegewinner. LuAnn hatte mit den Gewinnern vom vergangenen Herbst angefangen und alle aufgelistet, bis zum letzten. Sie hatte die Namen und sämtliche Informationen notiert, die in der Zeitung gestanden hatten. Zu jedem Artikel war ein Foto des jeweiligen Gewinners gebracht worden; mit ihrem Lächeln schienen diese Glücklichen die volle Breite der Zeitungsseite in Beschlag nehmen zu wollen. In rückläufiger Reihenfolge lauteten die Namen der Gewinner: Judy Davis, siebenundzwanzig Jahre, alleinerziehende Mutter von drei kleinen Kindern, Sozialhilfeempfängerin. Herman Rudy, achtundfünfzig Jahre, ehemaliger Fernfahrer, arbeitsunfähig nach Betriebsunfall, mit gigantischen Arzt- und Krankenhausrechnungen. Wanda Tripp, sechsundsechzig, verwitwet, hing kümmerlich im »sozialen Netz«, das aus Fäden bestand, die knapp vierhundert Dollar im Monat dünn waren. Randy Stith, einunddreißig, kürzlich verwitwet, mit kleinem Kind, Fließbandarbeiter, jetzt arbeitslos. Bobbie Jo Reynolds, dreiunddreißig, eine Kellnerin in New York, die laut Zeitungsartikel ihre Träume von einer Karriere am Broadway oder als Malerin in Südfrankreich aufgegeben hatte. Der letzte war Raymond Powell gewesen, vierundvierzig, dessen Firma kurz zuvor pleite gegangen war und der damals im Obdachlosenasyl lebte.
    LuAnn ließ sich zurücksinken. Und LuAnn Tyler, zwanzig Jahre, alleinerziehende Mutter, arm wie eine Kirchenmaus, keine Aussichten, keine Zukunft. Sie paßte perfekt in diese Gruppe Verzweifelter.
    Sie war nur sechs Monate zurückgegangen. Wie viele Gewinner gab es noch? Stoff für großartige Zeitungsstorys, das mußte sie zugeben. Menschen im Elend knacken den Jackpot. Alte Menschen, reich über Nacht. Junge Leute aus ärmlichen Verhältnissen, die plötzlich vor einer strahlenden Zukunft standen. Alle Träume wurden wahr.
    Jacksons Gesicht tauchte in LuAnns Gedanken auf. Jemand muß gewinnen. Warum nicht Sie,

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