Die vertauschte Braut: Historischer Liebesroman (German Edition)
kam aus dem Nichts.
Verdattert blickte er auf, doch eigentlich hätte es ihn nicht verblüffen sollen. Sie löcherte ihn bereits den ganzen Tag mit derartigen Fragen. Haben Sie einen eigenen Colt? Haben Sie schon mal Vieh gestohlen? Außerdem wollte sie wissen, wie Whiskey schmeckte, und ob er schon einmal eine Büffelherde gesehen hatte.
»Oder einen Zug?« Sie sah ihn unverwandt an.
Welche anständige junge Lady stellte solche Fragen? Welche anständige junge Lady interessierte sich überhaupt für solche Dinge?
Seine eigene recht dürftige Erfahrung mit wohlerzogenen jungen Ladys hatte ihn auf jemanden wie Miss Mildred Whimpelhall nicht vorbereitet. Er kannte Frauen der Oberschicht als bescheidene, vornehme und zurückhaltende Wesen mit geziert gesenktem Blick und scheuem Lächeln. Charlotte beispielsweise wäre wohl eher nackt durch die Straßen gerannt, als dass sie einem Fremden so private Fragen gestellt hätte.
Mildred Whimpelhall schien dagegen so viele Fragen, so viele Meinungen und so viel ...
Gespräch
in sich zu tragen, dass es für drei gereicht hätte. Egal auf welcher britischen Mädchenschule sie gewesen war, an ihrer Eltern Stelle hätte er auf jeden Fall sein Geld zurückverlangt.
»Sie müssen nicht antworten, wenn Sie nicht möchten«, lenkte sie ein.
»Wie unglaublich großzügig von Ihnen«, bemerkte er trocken.
»Aber ich wünschte, Sie täten es.« Verstohlen linste sie unter dem Fächer ihrer dichten Wimpern hervor zu ihm hinüber. Ihre Augen ...
Gott helfe ihm, diese Augen. Sie hatte ihre Brille im Fluss verloren, was sich als zweischneidiges Schwert herausgestellt hatte. Es hatte ihm den Atem verschlagen, als er sie gestern auf der
Felucca
gegen seine Brust gelehnt und sie die flatternden Lider gehoben hatte. Ihre Augen waren die außergewöhnlichsten, die er jemalsgesehen hatte. Wahrhaftes Coelin. Die Iris von einem sanften, grünlichen Blau mit kupfernen Einsprengseln war umgeben von einem dunklen Ring. Solche Augen trieben Männer in den Wahnsinn und zwangen sie in die Knie.
Manche jedenfalls. Ihn nicht.
Dann war Haji aufgetaucht, um nach ihr zu sehen, und sie war ohnmächtig geworden. Sie hatte sich jedoch schnell erholt, nachdem Haji verärgert darüber, dass Jim weiterhin an seinem Plan festhielt, das Schiff verlassen hatte.
»Nun?« Sie hatte ein gebundenes Schreibheft und einen Bleistiftstummel hervorgezogen. Was schrieb sie da überhaupt die ganze Zeit? Es kam ihm vor, als würde sie permanent etwas vor sich hin kritzeln. »Haben Sie schon einmal einen Zug überfallen?«
»Für was für einen Mann halten Sie mich eigentlich, Miss Whimpelhall?«
»Ich weiß es nicht. Deshalb versuche ich es ja herauszufinden«, entgegnete sie. »Aber es ist nicht gerade leicht, wenn Sie immer so einsilbig antworten.«
»Vielleicht antworte ich ihnen eben deshalb nicht, weil ich glaube, dass Ihnen die Antwort nicht gefällt.«
Darüber dachte sie nach. Sie streckte ein außerordentlich langes Bein aus, um die Zehen ins Wasser zu tauchen, und gewährte ihm so einen Blick auf einen grazilen Knöchel, einen elegant gebogenen Spann und hübsche rosige Zehen. Alles in ihm spannte sich bei diesem Anblick, was ihn reichlich aus der Fassung brachte.Wie konnte etwas so Zweckdienliches wie ein Fuß nur so verdammt erregend sein?
»Vielleicht nicht«, gab sie schließlich zu. »Aber finden Sie nicht, ich verdiene es zu wissen, was für einem Mann Lord Colonel Pomfrey meine Sicherheit anvertraut hat?«
»Sollte es Ihnen denn nicht reichen, dass er es getan hat?«
»Nein«, entgegnete sie prompt. »Es geht um meine Sicherheit und nicht um seine.«
Ein weiterer Minuspunkt für das vermeintliche Mädcheninternat. »Vermeintlich« deshalb, weil er allmählich glaubte, dass sie niemals einen Fuß in solch eine Schule gesetzt hatte. Junge Ladys bestanden nicht derart offen auf ihrer Eigenständigkeit. Älteren Damen mochte ein ausgeprägter Wille und Unabhängigkeit vielleicht verziehen werden, doch sie war viel zu jung, um bereits einen Sinn für Unabhängigkeit entwickelt zu haben. Und sie war verdammt unabhängig.
Und außerdem hatte sie recht. Sie verdiente es wirklich zu wissen, was für ein Mann ihr Führer war, und ob er seine Aufgabe gewissenhaft erfüllen oder sich bei den ersten Schwierigkeiten aus dem Staub machen würde. An ihrer Stelle würde er es auch wissen wollen.
Doch er wollte ihr auch noch aus einem anderen Grund antworten. Er wollte, dass jemand – dass sie – ihn
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