Die Vertraute des Königs: Historischer Roman (German Edition)
weiteren Aufhebens den kurzen Fußweg zu Großmutters Haus zurück.
Dame Agnes war ebenfalls deutlich gealtert, aber durchaus in Würde, und obwohl sie zu Beginn etwas verunsichert wirkte, wie sie auf mein Erscheinen reagieren sollte, schloss sie mich schon bald in die Arme und weinte vor Freude.
»Du siehst gesund und wunderschön aus, meine Alice. Ich habe mir Sorgen gemacht um dich, da du so viele Verluste erleiden musstest, ohne bei deiner Familie sein zu können.«
»Ich habe Euch vermisst und mir auch um Euch Sorgen gemacht. Um euch alle«, entgegnete ich. Als ich das Gefühl hatte, genug Fragen beantwortet zu haben, um sie fürs Erste zufriedenzustellen, unterbreitete ich ihr meinen Vorschlag.
Sie nickte. »Ich habe mir selbst bereits eine solche Regelung überlegt. Mir hat gar nicht gefallen, was ich dort gesehen
habe.« Sie sah über ihre Schulter zu Mary. »Was hältst du denn von der Idee deiner Schwester?«
Mary blickte mich hilfesuchend an.
»Ich war sehr glücklich hier«, sagte ich. »Ich glaube, das könntest du auch sein.«
Mary setzte ein schüchternes Lächeln auf. »Das würde ich gerne.«
Dame Agnes klatschte in die Hände. »Also abgemacht! Die gute Nan wird dein Kammermädchen sein, Mary, und mir bei der Führung des Hausstands helfen.«
Ich sah Erleichterung in den Augen von Mary und Nan und drückte Dame Agnes, so fest ich konnte.
»Und du, Alice«, sagte sie, hielt mich auf Armlänge von sich und sah mir tief in die Augen. »Was ist mit dir? Werden wir dich häufiger sehen?«
Ich erklärte, dass die Königin es weiterhin wegen der Pest für gefährlich hielt, in die Stadt zu reisen.
Großmutter nickte und umarmte mich. »Dann werden wir dich hoffentlich häufiger sehen, sobald sie vorbei ist. Vielleicht heiratest du ja auch wieder?« Sie nickte in Richtung William, der still auf einer Bank am Feuer saß und seine langen Beine in die trocknende Wärme streckte. Ein Hausdiener hatte ihm Ale, Brot und Käse gebracht, wovon er sich während unseres Gesprächs bedient hatte. »Er ist höchst ansehnlich. Du nanntest ihn ›Sir‹. Stammt er aus vornehmem Haus?«
»Ich bin Sir William höchst dankbar dafür, dass er riskiert, sich den Zorn der Königin zuzuziehen, indem er mich heute hergebracht hat, aber wir sind lediglich gute Freunde.«
»Das ist ein guter Anfang.« Dame Agnes und Mary blickten einander an.
William hatte nicht bemerkt, dass ich über ihn sprach, aber er sah auf, als Dame Agnes sich ihm mit ausgestreckten
Händen näherte. Sein zurückhaltender Ausdruck verriet Wachsamkeit und unterstrich noch die Größe seiner Geste, mich heute hierher zu begleiten und jene Familie kennenzulernen, welche die Königin mir zu besuchen untersagt hatte. Erneut drängte sich mir die Frage auf, was für Absichten er damit verfolgte.
Er erhob sich, um die Hände von Dame Agnes zu ergreifen.
»Gott segne Euch für das, was Ihr für meine Alice getan habt«, sagte sie. »Und für uns alle.«
»Mein Herz war tief bedrückt, als ich gestern ihren Schmerz sah und erfuhr, dass es ihr verboten worden war, ihre Familie zu besuchen, Dame Agnes. Ich bin glücklich, dieses Wiedersehen miterlebt zu haben.« Er verneigte sich vor ihr, und als er den Kopf wieder hob, erfüllte das strahlende Lächeln auf seinem Gesicht die ganze Halle.
Ein Klopfen an der Haustür unterbrach das Gespräch.
Der Hausdiener meldete einen Knappen vom Hofe des Königs. Dieser verbeugte sich vor Dame Agnes, dann vor allen anderen und erklärte, der König habe eine Eskorte gesandt, die mich sicher nach Windsor zurückbringen würde. Der König! Mir wurde schwach in den Knien, da ich ahnte, was dies bedeuten konnte. Wir waren nicht nur entdeckt worden, der König selbst hatte meine Rückkehr angeordnet. Ich sah zu William, der mir nur mit ausdrucksloser Miene zunickte, was mein panisches Entsetzen um keinen Deut minderte.
Dame Agnes warf mir einen fragenden Blick zu, sagte dann aber nur laut, der Bote und seine Männer sollten sich doch in der Küche bei etwas Ale stärken, während ich mich noch von meiner Schwester verabschiede. William folgte dem Knappen, um nach den Männern zu sehen.
»Er ist überaus stattlich«, sagte Mary wieder.
»Ein wenig wie Janyn?«, fragte Dame Agnes, scheinbar nachdenklich.
Sie redeten nur so dahin, um den Eindruck zu erwecken, es wäre nichts Ungewöhnliches geschehen.
Ich umarmte Mary. »Viel Glück, geliebtes Schwesterchen.«
Mein Verstand arbeitete fieberhaft. Ganz offenbar war
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