Die Vertraute des Königs: Historischer Roman (German Edition)
Überrascht blickte er zu mir herab und schenkte mir dann das traurigste Lächeln, das ich je gesehen hatte.
»Ich kann nicht mit vielen Menschen ganz offen sprechen, Mistress Alice. Selbst meine Königin erinnert mich bisweilen daran, dass ich König bin und keinerlei Schwäche zeigen darf.«
»Niemand wird etwas erfahren, Eure Hoheit«, versprach ich. »Ehrlich gesagt, kann ich nicht glauben, dass Euch irgendjemand
die Trauer über Eure Töchter zum Vorwurf machen könnte.«
»Ein Feldherr darf um seine Kampfgefährten trauern. Um sonst niemanden.«
»Ich verstehe nicht, wie Gott es sich wünscht, dass wir unsere Leben leben«, sagte ich erschüttert. »Wir bemühen uns doch beide, gut zu sein und unseren Pflichten nachzukommen. Ich begreife nicht, warum Gott uns dann mit so viel Leid prüfen muss.«
Der König zog mich zu sich und küsste mich auf den Mund, ein flüchtiger Kuss, nicht mehr, dann küsste er mich auf die Stirn und hielt mich einen Moment lang fest in den Armen. Ich hörte sein mächtiges Herz schlagen und näherte meine Hand seinem hellen Haar. Er hob mein Kinn und dankte mir für meine Freundschaft.
»Ich bin Eure treue und ergebene Freundin, Eure Hoheit.« Ich war erleichtert, dass meiner Stimme der Schreck, der mir in den Gliedern saß, nicht anzumerken war, und verbeugte mich, obwohl der König nicht in meine Richtung sah.
Er nickte, wandte mir aber noch immer nicht seinen Blick zu. Ich fragte mich, was ihn beschäftigte.
»Unsere Pferde warten«, sagte er schließlich und schritt davon.
Ich folgte ihm, das Herz freudetrunken. Er hatte mich geküsst, er hatte mich umarmt. Rasch schaltete sich mein Verstand ein und schrie Warnungen. Ich hätte ihn nicht berühren sollen, denn wahrscheinlich wäre es zu keinem noch so keuschen Kuss gekommen, hätte ich nicht seine Hand ergriffen. Ich konnte nicht glauben, dass ich sogar die Unverfrorenheit besessen hatte, sein Haar anzufassen. Man würde mich vom Hof jagen. Fort von ihm. Das würde ich nicht ertragen. Ich flehte zu Gott um ein Zeichen, was ich tun sollte, wie ich künftigen Versuchungen widerstehen könnte.
Den Gemahl einer anderen zu begehren, war eine Sünde. Ich konnte unmöglich seine Frau, meine Königin und Herrin, betrügen. Dennoch wollte es mir nicht aus dem Kopf gehen, wie es sich angefühlt hatte, von seinen Armen umfangen zu werden, seine Lippen auf meiner Haut zu spüren. Jedes noch so kleine Teil an mir hatte ihn wahrgenommen, war von ihm erregt worden.
Am nächsten Morgen kam er nicht zur Morgenandacht. Ich sagte mir, dass es so auch besser sei. In Wirklichkeit war es sogar meine Rettung. Ich brauchte ganz offensichtlich einen Mann, einen Ehemann. William Wyndsor schien hier die richtige Wahl. Er würde mich von meiner gefährlichen und unsinnigen Besessenheit dem König gegenüber retten. An diesem Abend hielt ich im Rittersaal nach ihm Ausschau. Ich hatte ihn seit unserer Reise nach London nicht mehr gesehen und fürchtete, der einzige Grund, aus dem er meine Nähe mied, könne darin bestehen, dass er von meinen morgendlichen Treffen mit dem König wusste. Ich erinnerte mich noch an seinen Verdacht, als die Männer des Königs im Haus von Dame Agnes erschienen waren. Nach einigem Suchen erfuhr ich von einem seiner Freunde, dass William nach Norden an die Grenze zu Schottland gesandt worden war. Seine Anweisungen hierzu hatten ihn am Tag nach unserem Ausflug erreicht. Es handelte sich um einen durchaus ehrenvollen Auftrag, der indes völlig unerwartet gekommen war. Ich äußerte mein Bedauern, dass ich keine Gelegenheit mehr gehabt hatte, ihm eine glückliche Reise zu wünschen.
Gott möge mir vergeben, aber als ich den Saal verließ, tanzte ich beinahe vor Erleichterung, dass William nicht da war, um mich vor dem König zu retten.
II-4
» Weh mir, denn bis zum Ende aller Zeiten,
Kann weder Vers noch Lied mich loben mehr,
Zu wüst die Bücher mich verrufen werden.
Ach, lästern wird so mancher über mich,
In alle Welt es laut hinausposaunen,
Und Frauen werden mich am meisten hassen,
Ach, dass dies Schicksal mich ereilen musst.«
GEOFFREY CHAUCER:
TROILUS UND CRISEYDE, V 1058 – 1064
HERBST 1361
Ich hatte wenig Zeit, über meine Gefühle für den König nachzusinnen. Die Königin widmete den Großteil ihres und auch meines Tages den Vorbereitungen für die offizielle Hochzeit von Prince Edward und Countess Joan. Sie war entschlossen, ihre Enttäuschung über diese Verbindung einstweilen zu vergessen und das
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