Die Vertraute des Königs: Historischer Roman (German Edition)
Sein Mund schien zu einer ständigen Grimasse verzerrt, und obwohl er vermutlich kaum zehn Jahre älter war als ich, hatten sich bereits tiefe Falten zwischen seine Brauen gegraben, ja, seine Stirn blieb sogar gerunzelt, wenn er ein Kompliment machte oder schweigend nachdachte. Er hielt seine Hände auf dem Schoß, als müsste er sie mit Gewalt zum Stillhalten zwingen.
»Ich bin dem König für seine Anteilnahme höchst dankbar«, sagte ich. »Wie ich weiß, zählt Ihr zu seinen getreuesten Esquires.«
Er verneigte sich kurz, um sich für die Bemerkung zu bedanken. »Seine Königliche Hoheit hat keine Zweifel daran, dass die Angreifer von den Gefälligkeiten wussten, die Euer verstorbener Gemahl einst seiner Mutter, Lady Isabella, erwiesen hat. Deshalb bin ich hier, denn ich bin einer der wenigen am Hofe, der über die Verbindung Eurer Familie zu der ehemaligen Königin ins Vertrauen gezogen wurde.«
»Kennt Ihr die Männer, die mich angegriffen haben?«
»Ich hatte von ihnen gehört, gesehen habe ich sie aber nur als Leichen.«
»Ich dachte, einer wäre noch am Leben.«
»Er ist heute Morgen gestorben.« In seinen dunklen Augen lag nicht die Spur einer Gefühlsregung.
Ich bekreuzigte mich und sprach ein Gebet.
»Ich würde nicht zu innig für seine Seele beten, Mistress Alice. Es dürfte ihm nicht viel nützen. Er wollte Euch ausfragen und dann schänden, bevor er Euch ermordet hätte, da bin ich mir sicher.«
Ich presste eine Hand an meinen Hals und erschauderte
angesichts dieser möglichen Entwicklung. »Für wen haben sie gearbeitet, Master Stury?«
»Damit müsst Ihr Euch nicht belasten.«
»Seid Ihr toll? Wie soll ich mich denn verteidigen, wenn ich meine Feinde nicht kenne?«
»Ihr steht unter dem Schutz des Königs, Mistress Alice.«
»Es war nicht der König, der mein Leben und das meiner Bedienten gerettet hat.«
»Ihr braucht keine Angst zu haben.«
»Warum? Wollt Ihr alle etwaigen Entführer, sobald Ihr von ihnen hört, umbringen, bevor sie eine Gelegenheit finden, mich anzugreifen?«
Stury erhob sich. »Wir werden Euch morgen früh nach Windsor begleiten. Bitte ruht Euch noch ausreichend aus vor der Reise.«
So lernte ich die Ausmaße des Gefängnisses kennen, in dem ich lebte. Ich fürchtete, nun nie wieder die Freiheit zu besitzen, mich außerhalb des Hofs zu bewegen. Und ich begann mich zu fragen – wurde ich geschützt oder war ich ein Köder? Warum kam mir diese Frage plötzlich in den Sinn? Ich betete um Kraft. Ich betete für die Sicherheit meiner Tochter.
Auf der Rückreise überfiel mich eine Niedergeschlagenheit, als würde ich in Schmach zurückkehren. Wenn mir nicht einmal die Namen meiner Feinde anvertraut werden konnten, was zählte ich dann überhaupt? Immerhin errang ich einen kleinen Sieg, indem ich die Männer davon überzeugte, dass ich auf dem Rücken eines Pferdes besser aufgehoben war als auf einem Karren, dessen Holpern mir nur neuerliche Schmerzen verursachen würde. Das Wetter hatte sich abgekühlt, und da uns ein Nieselregen unter unseren Kapuzen schweigen ließ, fiel mein stummes Brüten gar nicht weiter auf.
Richard Lyons wirkte in Sturys Gegenwart eher verschlossen. Er hatte mich morgens begrüßt und dann alleingelassen, damit ich mich von Dom Hanneye verabschieden konnte. Mein Beichtvater hatte zwar gehofft, sich uns anschließen zu dürfen, um der Hochzeit des Prinzen beizuwohnen, war jedoch zu seiner Enttäuschung gerade darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass der Bischof seine weitere Anwesenheit in Oxford wünschte.
»Werdet Ihr dafür bestraft, dass Ihr mir geholfen habt?«, fragte ich und berührte vorsichtig die blau verfärbte Stelle zwischen seinen Augenbrauen.
»Im Gegenteil, zu meiner Überraschung wurde mir eine einträglichere Pfründe hier in Oxford zugesprochen – unter der Bedingung, nicht über den jüngsten Vorfall zu sprechen. « Er verbeugte sich vor mir.
»Das freut mich für Euch, obschon dieser Beförderung ein gewisser Zwang innewohnt.«
Er zuckte mit den Achseln. »Ich habe aus freien Stücken den Eid des Gehorsams abgelegt. Zögert niemals, mich zu rufen, wenn Ihr in Not seid, Dame Alice.«
Den ganzen Weg bis Windsor Castle musste ich über unsere goldenen Fesseln nachdenken. Dom Hanneyes Aufstieg als Gegenleistung für sein Schweigen, im Grunde nur ein Einsperren des Hirns, eine Beschränkung der freien Rede, wenn nicht sogar des Denkens. Die sichere Bewachung, unter der ich reiste. Und sobald ich im Hofstaat der
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